Der nächste Teilnehmer am kleinsten Zug gibt einigen Zuschauern Rätsel auf: "Krebs, gutartig"? Was macht denn das riesige Krustentier auf einer schwarzen Knutschkugel mit Rädern? Sorgsam auf dem Dachträger festgeschnallt, wackeln seine schweren Scheren träge in der Luft.
Da halten die Narren lieber Abstand, in die großen Schneidwerkzeuge möchte niemand kommen. Dabei könnte der Fahrer durchaus Hilfe gebrauchen, kleben doch inzwischen immer mehr bunte Filzbälle an den kleinen Reifen. Wenn das so weiter geht, werden sie bald einen Boxenstopp einlegen müssen, um die bunte Pest aus den Radkästen zu kratzen.
Der rote Riesenkrebs auf dem Autodach ist eigentlich nur der Hinweis auf den nächsten Wagen, deren Besatzung nicht ganz so gutartig ist …
Im Mittelalter kamen die apokalyptischen Reiter Krieg, Hunger, Tod und Pestilenz. In der Moderne sind es Bazillus, Virus, Mikrobe und die eigene Zelle außer Rand und Band. Diese hocken dichtgedrängt auf der Ladefläche und schrecken die kleinen Narren.
So manche kleine Maus versucht sich in Sicherheit zu bringen, wenn der große Schatten sich nähert. "Geh mir weg! Weg mit den Tentakeln!" kreischt sie und nimmt schreiend Reißaus.
Dann stolpert sie und verheddert sich in den Luftschlangen und Girlanden am Wegesrand. Wenn sie jetzt ganz still liegen bleibt, …
… sind auch die pelzigen Unholde bald vorbeigefahren. Warum gibt es im Karneval nicht nur nette Wagen? Das soll doch alles nur 'Spaß' sein.
Und Corona-Viren machen sicher keinen Spaß! Im Gegenteil, sie können doch froh sein, dass die Viren heute nur auf dem Wagen sitzen und noch nicht in der Menge angekommen sind … "Haaaatschi!"
Der Zauberer beugt sich nach vorn: "Wenn das nicht bald besser wird, schaue ich mir den nächsten Rosenmontagszug nur am Bildschirm an." Funktioniert das überhaupt? Gibt es eine wilde Rosenmontagssause, wenn alle nur online zugeschaltet werden und die Stimmung in den leergefegten Straßen vom Band kommt, das blechern über Lautsprecher durch die Gassen schallt? Ein echter Geisterumzug mit ohne Narren?
Der Moschnarch ärgert sich doppelt. Warum muss gerade er direkt hinter dem Virenwagen fahren? Wer weiß, was er sich davon wegholt. Zum Glück wird hier nichts verteilt. Es hätte wohl auch jeder dankend abgewunken. Obwohl, einen Mundschutz, Warenproben mit Desinfektionsmittel und eine Rolle Klopapier hätten nicht nur die konsumfreudigen Hamster zu schätzen gewusst.
Noch viel mehr ärgert sich der Moschnarch, dass er als gekröntes Haupt … gerade nur in einer vorübergehenden Auszeit … dass er als gekröntes Haupt nicht der Karnevalsprinz ist. Irgendein Bürgerlicher hat sich diese Krone geschnappt. Dabei könnte 'Leonidas ohne Land' auf eine jahrzehntelange Expertise als nichtsnutziger Repräsentions-Onkel mit Stammbaum verweisen.
Die Viren verabschieden sich mit den Seuchen der vergangenen Jahren. Es könnte ja trösten, dass offensichtlich immer wieder neue Aufreger gebraucht werden, weil die alten einfach verschwinden. Selbst die Grippeviren mit ihren alljährlichen Tourneen locken kaum noch jemand hinter dem Ofen hervor. Die Elfe auf der Telefonzelle muss sich dennoch erst einmal setzen, als der Wagen endlich durch ist.
Hinter dem muffelnden Monarchen wird es wieder fröhlicher. Erleichtert strömen die Zuschauer wieder nach vorn. Drachenclowns laufen lachend und feixend von einer Straßenseite zu anderen und verteilen Luftballons.
"Ich bin doch beliebt!" grantelt der Moschnarch. "Die Leute es sicher gern gesehen, wenn ich das Amt des obersten Zuglenkers übernommen hätte." Die Menschen jubeln und winken doch, wenn er huldvoll die Pfote hebt. "Hat denn niemand gefragt?" Der Kammerherr am Steuer dreht die Auge nach oben. "Habt ihr auch die königliche Mailbox abgehört?" Als treuer Diener wird er sich diese fassungslose Enttäuschung noch einige Straßenecken anhören müssen. Bis der Zug komplett alle Stationen durchlaufen hat. Abspringen geht nicht, der Moschnarch hat natürlich keinen Führerschein.
Dabei hatte es der Kammerherr für eine gute Idee gehalten, mit dem königlichen Gefährt am Zug teilzunehmen. Der König kommt raus, kommt unter die Leute und kann sich als Speerspitze der Elektromobilität feiern lassen. Unter all den Dieselstinkern. Er konnte ja nicht ahnen, dass es gleich ein Kompetenzgerangel um Kronen und Titel geben würde. Nur weil der hohe Herr sich langweilt und deshalb sich auch dort Aufgaben und Bedeutung zusammenklaubt, wo er besser den Ball flach hielte.
Besonders trifft es Leonidas, dass seine Minister – ohne Rücksprache – an dem Zug als Prinzengarde für diesen Emporkömmling und Thronräuber teilnehmen. Sie fahren hinter den Drachen. Da kann man sie beim besten Willen nicht seinem Gefolge zuschlagen.
Denn auf ein Gefolge von Hanswursten und dummen Augusts, wie es die Drachen bieten, kann ein Moschnarch dann auch verzichten. "Ich degradiere sie alle!" schnauft der König in seinem Golfcart.
Die königlichen Minister ahnen noch nichts von dem Ungemach, das sich über Ihnen zusammenbraut. Sie freuen sich nur über einen neuen Herren auf Zeit, der viel umgänglicher und pflegeleichter ist. Das wird eine Umstellung werden, wenn sie am Mittwoch wieder in den Alltag müssen.
Heute und morgen dienen sie seiner Tollität 'Rattikus dem Ersten'. Als die drei gefragt wurden, ob sie ihre Erfahrungen als königliche Garde auch anderen gekrönten Häuptern zur Verfügung stellen könnten, haben sie sofort zugestimmt. Einen Urlaub vor dem anspruchsvollen Leonidas konnten sie alle gut gebrauchen. Und bei den Narren mussten sie sich nicht groß umstellen. Es mag ja mal als Parodie gestartet sein, inzwischen nehmen die Narren sich in den Vereinen mit ihren Ritualen, Uniformen, Orden und den übrigen militärischen Klimbim viel ernster als die meisten Berufssoldaten.
So tragen die beiden Wagenlenker der königlichen Narretei natürlich ihre Galauniform. Sie achten peinlich darauf, dass 'Rattikus der Erste' ganz ausgewogen in die Menge grüßt.
Es gilt dabei weder den linken noch den rechten Seitenrand zu übervorteilen. Schließlich soll jeder Besucher das Gefühl haben, dass dies der Höhepunkt im Umzug ist. Der Karnevalsprinz fährt am Ende des Zuges und schließt diesen voller Würde ab.
Rattikus ist unzufrieden. Die maskierten Mäuse und Bären am Straßenrand beginnen schon zu tuscheln und nesteln in den Beuteln. Auch brechen die ersten sofort auf, wenn er durchgefahren ist. Er hatte doch mit mehr Interesse und Begeisterung gerechnet. Das nächste Mal nimmt er einen Kleinlaster und zusätzliche Helfer, die noch mal reichlich Bonbons und Kekse unter den abgelenkten Untertanen verteilen sollen. Es wäre doch gelacht, wenn dann die Stimmung nicht wieder ganz oben wäre.
"Ihr müsst grüßen," flüstert die Maus dem Prinzen zu. Doch der ist gerade in Gedanken versunken. Kann er überhaupt im nächsten Jahr alles besser machen? Er ist doch nur für eine Session gewählt. Wie oft kann er wiedergewählt werden? Nur zwei Amtszeiten wie der amerikanische Präsident, oder drei mit Zusatzzahl wie der russische? Wird er dann 'Rattikus, der Zweite'?
Das sind Fragen über Fragen. Da muss er erst einmal nachdenken. So lange können die zwei da vorn für ihn mitwinken …
Idee: SchneiderHein Fotos: W.Hein
Es ist vollbracht – jetzt werden demnächst die 8 Teilstücke sortiert und alles sauber miteinander verlinkt. Dann beginnt die Planung für den Rosenmontag 2021. Mit 'Rattikus dem Zweiten' oder einem Gegenprinz. Oder es wird ganz basisdemokratisch ohne das ganze königliche Chi-chi. Dabei haben vielleicht gerade diese Demokraten so eine tiefe Sehnsucht nach Königshäusern und Hochadel, dem sie auch aus fremden Ländern begeistert zujubeln und bei allen Familienangelegenheiten intensiv mitfiebern.