Es ist die Nacht vor Heiligabend. Jack kann noch nicht schlafen. Es ist alles viel zu aufregend für das kleine Mauseherz. Morgen ist Bescherung – die einzig gute Bescherung im Jahr. Und er fragt sich, ob das mit dem Wunschzettel pfunsioniert hat. Kommen alle Geschenke? Sind sie schon unterwegs? Wie bekommt der Weihnachtsmann auch die sperrigen Sachen durch den Kamin? Bestimmt ist an seiner Werkstatt am Nordpol noch Hochbetrieb. Gern wäre Jack da jetzt Mäuschen.
Wie es am Nordpol zugeht, kann sich ein kleiner Mausebengel wohl kaum vorstellen. Nun, der Roboter, der zum Schneeschippen angeschafft worden ist, würde Jack sicher nicht überraschen. Schließlich müssen die ganzen Verkehrswege eisfrei gehalten werden. Vielleicht hätte der Weihnachtsmann seine Werkstatt lieber in der Südsee oder wenigstens auf den Azoren eröffnen sollen, die etwas verkehrsgünsiger liegen.
Der Botz kann es nicht fassen. Diese Erdlinge haben doch keine Ahnung von ehrlicher Maschinenarbeit. Sie geben ihm eine Schneeschaufel in Mausegröße. Da kann er ja gleich einen Teelöffel nehmen. Er schnauft heftig und macht kleine Feinstaubwolken des Protests mit seinem Dieselmotor. So kann er doch nicht arbeiten!
Drinnen werden die Bestellungen im 'Fulfilment Center of Successful Sending' bearbeitet. Der 'Chief Inspector of Customer Happiness' beugt sich über den Ordner mit Reklamationen. Diese Hochglanzpapiere der diesjährigen 'High Attention'-Geschenke sind so flutschig, dass viele Geschenke entweder unsauber verpackt aus den Wickelautomaten kommen oder den Boten bei der Übergabe einfach aus der Hand rutschen.
Am nächsten Tisch werden legt der 'First Contact Officer for Grumpily Customer Calls' endlich den Hörer wieder auf die Gabel. Auch hier sind die Flutschpakete ein Thema. Dazu kommen noch die ganzen Anrufe wegen fehlender Sendungen so kurz vor der Familienübergabe. Wenn jetzt nicht bald was käme, sehe der Tannenbaumständer verdammt nackt aus. Da hilft es auch nicht, dass der freundliche Mitarbeiter immer wieder darauf hinweist, dass die 'Customer First Desk Hotline' leider ein kostenpflichtiges Ferngespräch zum Nordpol ist.
Der 'Department Head Operator of Better Customer Experience' ist zufrieden. Dieses Jahr läuft bis jetzt viel reibungsloser als die vorangegangenen. Das liegt sicher an dem neuen "Supervising Program for Increasing New Transparency', kurz SPRINT, das alle Abläufe beschleunigt hat, indem viele Zwischenfrager und Bedenkenträger einfach entschlackt worden sind. Und die Kundenrückfragen wurden in einer einzigen Warteschleife zentralisiert. Dafür kann man im Internet schon vorab die Antworten für die häufigsten Fragen bekommen, damit die Nummer der Hotline nicht mehr so oft eingeblendet werden muss. Eigentlich gar nicht, wenn es nach dem DHOoBCE geht.
Die Weihnachtslogistik von heute hat nichts mehr mit einer verschnarchten Wichtelwerkstatt zu tun. Heute ist man ohne Fachchinesisch vollkommen aufgeschmissen. Vielleicht ist das auch der Grund, dass hier nur noch Drachen arbeiten.
Der Chief Inspector verstaut seine letzten geschriebenen Reporte im Schreibtisch. Das hat bald ein Ende. Er freut sich schon auf die Einführung von SAP, dem 'Safe Arrival Program' für die Geschenke, das den Klimawandel berücksichtigen soll. Eine weiße Weihnacht steckt wohl noch in vielen Köpfen. Für seine Lieferungen sind eisfreie Straßen und trockene Wege dagegen eine Riesenerleichterung. Und mit SAP wird jetzt mit dem ganzen Unsinn von Schlechtwettergeld, Schneeketten und Winterzulage bei den Geschenkeboten aufgeräumt. Dafür gibt es vielleicht eine Sonnenbrille und ein neues Cap mit erhabenem X-MAS-Logo für den Außendienst.
Die Drachenbrut hat heute noch schneefrei. Sie steckt in riesigen Schneebällen und tobt über das Außengelände. Hier am Nordpol wundern sie sich immer, wozu überhaupt Hawaihemden und Surfbretter zu Weihnachten verschickt werden müssen. Da wären eine warme Mütze, ein Eiskratzer und ein Schlittenhund viel nützlicher.
Im Besprechungsraum erklärt der 'President of Strategic Excessive Growth' gerade die Zukunft von Weihnachten. Für ihn ist das laufende Fest längst Geschichte. Hier wird über den 'Big Gift Transfer Event 2019' verhandelt, wenn es nicht eigentlich schon längst zu spät ist.
Aus aller Welt nehmen die Weihnachtsmänner, Nikoläuse, Knecht Ruprechte und Gevatter Frost in seinem Sessel Platz, um zu erfahren, wie sie sich künftig neu ausrichten müssen. Als Gesicht der Weihnacht haben sie genug mit der Repräsentation zu tun. Da sollen sich Fachleute um die ganze Ausstattung und Präsentefragen kümmern. Das tun die Drachen gern, wenn man in ihrem 'X-mas Supervising Consulting Council' auf die Empfehlungen des Managements aufmerksam hört.
Im nächsten Jahr werden zum Beispiel die Geschenke wieder viel mehr 'trustable vintage'. Diese glitschigen Glanzpapiere sind so etwas von 2018. Die haben die Drachen gleich vom Tisch gefegt, bevor sie die neue Linie von individuellen Motiven aus dem Hochleistungsdrucker auf den Tisch gelegt haben. "Sie sind ein blauer Weihnachtsmann? Kein Problem, ein Knopfdruck und es ist ihr 'Personal-X-Mas-Style' in Blau!"
Noch beeindruckender ist der Glitzerstern, den jetzt der 'Head of Holy Shit Development' vorstellt. Seine Designer haben ultimative Größe mit einem günstigen Transportgewicht kombiniert. Und wo die Sperrgut-Tarife zu hoch werden, kann der Stern fast vor jeder Haustür aus jedem 3D-Drucker gezogen werden.
Wenn der blaue Santa noch etwas Zeit braucht, die Vorteile zu erkennen, ist Zeit für eine Runde Glühwein. Ganz traditionell aus dem Porzellantopf. Die Infrarotheizung ist unsichtbar verbaut, arbeitet demnächst mit einer Brennstoffzelle und gesteuert wird das Ganze über die Hohoho-App oder ganz kundenfreundlich zentral von hier am Nordpol. An der Gesichtserkennung mit der Minikamera im i-Punkt wird noch gearbeitet. Dann kann der Chef genau festlegen, wieviel Glühwein seine Mitarbeiter trinken sollten und jeder Gastgeber hat genaue Infos über die Vorlieben seiner Gäste. Da kann der Bedarf doch viel besser geplant werden.
Der Mause-Elf hatte schon vorher geahnt, dass es eine anstrengende Sitzung werden würde. Hoffentlich lässt sich sein Chef nicht jede neumodische Idee der freundlichen Drachen aufschwatzen.
Denn bei allen vollmundigen Versprechungen – hier wird auch ganz traditionell bei hundertprozentiger Erfolgsgarantie mit hochprozentigen Argumenten gearbeitet.
Draußen machen sich die 'Facility Manager' des Schneeräum-Dienstes bereit. Mögen sie drinnen schon längst mit dem Klimawandel planen. Noch müssen die Wege ganz analog geräumt werden.
Doch dies alles kann sich sicher ein aufgeregter kleiner Mausejunge in seinem heimischen Sessel kaum vorstellen.
Fotos: W.Hein
X-Mas-Charts: Shutterstock
Es gab hier schon einige Theorien, wie die Weihnachtslogistik am Nordpol aussieht. Dieser Einzug der Moderne fing mit der Frage an: "Findest du nicht, dass wir inzwischen zu viele Drachen haben?"