"Das ist doch nur ein besseres Wischtuch vor dem Gesicht," muffelt Jack über das Tragen eines Mundschutzes im Supermarkt. "Der ist doch zum Schutz für die anderen, damit du deine Viren ihnen nicht ins Gesicht rotzt." Alice findet, dass auch kleine Schritte helfen. "Pah, ich rotze in die Armbeuge und wenn wäre das ja was für 'Lissspler" mit ihrer feuchten Aussssprache."
In den Zeiten von Corona - genauer der Covid-19 Pandemie (Alice kann da sehr genau sein) – sollen alle wenigstens einen passiven Mundschutz tragen, wenn sie einkaufen gehen. Aufgeregt wuseln die Mäuse durch die Gänge, um für die nächsten Tage kleine Vorräte einzukaufen. Eine Maus ist vielleicht ein Nagetier – aber noch lange kein Hamster. Wobei, die machen vielleicht dicke Backen, aber warum gibt es keinen Generalverdacht gegen Eichhörnchen? Die legen doch überall Vorratsnester an, um im Ernstfall die Hälfte zu vergessen.

Die Versorgungslage bei Obst und Gemüse ist noch sehr gut, es gibt eine reichhaltige Auswahl auch aus fernen Ländern, als ob nicht die meisten Flieger am Boden stehen würde. Aber im Regal für Nudeln, Reis, Kartoffelpüree, Mehl und Zucker gibt es riesige Lücken und ein paar einsame Pakete mit Ladenhütern wie Instant-Flocken für Semmelknödel mit Röstzwiebelaroma. Die werden dennoch gleich in der Tasche von Valentina verschwinden. Die Maus kann nur den Kopf schütteln. Mit diesen schmalen Resten werden auf ihrem Einkaufszettel viele Ausfälle blieben.
Der kleine Wolf schüttelt auch nur den Kopf. Ständig saust er ins Lager, um einige der Regale immer neu aufzufüllen. Aber wenn er wenig später nachschaut, gähnt da wieder ein großes Loch. Vielleicht sollte er sich den Umweg sparen und die Kunden gleich durch das Lager führen.
Wobei … einige Artikel sind wirklich selten geworden. Pink hat noch eine Box mit Frischhaltetüchern und zwei Flaschen mit Desinfektionsreiniger entdeckt und sofort eingesackt.
Der rote Bär entdeckt einen echten Schatz in der Deko. Eine Rolle Klopapier hat sich unter einer Häkelmütze versteckt! Dafür ist das Fach für Müllbeutel fast leer und bei den Putzmitteln liegen nur Streusand, Gallseife und Bohnerwachs wie Blei in den Auslagen.
Victoria möchte rechtzeitig die Vorräte in ihrer Käsevitrine auffüllen, um auch für eine längere Quarantäne vorzusorgen. Sie kann sich nur noch nicht entscheiden, welche Käse sie nach Hause rollen will. Ganze Laibe halten sicher länger als aufgeschnittene Tortenstücke. Und manche Käsesorten werden mit der Lagerung noch viel aromatischer. Aber dass ein dreimonatiger Rohmilchkäse bei ihr noch sieben weitere Monate reifen kann – das glaubt sie selber nicht.
Auf jeden Fall nimmt sie einen Handvorrat von kleinen Rundkäsen mit … als Snack für zwischendurch.
Albert wartet, bis Victoria sich endlich entschieden hat. Er würde gern einen Schluck Wasser aus dem Wasserspender nehmen, doch irgendwie stört der Mundschutz und er sucht noch die Einwegbecher. Da tippt ein Finger auf seine Schulter …
"Hey du," spricht die dunkle Gestalt im Mantel Albert von hinten an: "Hey du, womit wischt du dir jetzt noch den Po ab?"
"Natürlich mit Klopapier," dreht sich der Mäuserich um. "Psst, nicht so laut, es muss ja nicht jeder hören, dass wir über Klopapier reden." Der Fremde neigt sich zu Albert runter: "Und, hast du noch Klopapier?" Albert bemüht sich zu flüstern: "Es wird Tag für Tag weniger und in den letzten beiden Wochen war es hier immer ausverkauft." "Dann ist ja gut, dass ich welches habe," antwortet der große Mantelträger. "DU HAST KLOPAPIER!" ruft Albert begeistert. "Psst, nicht so laut." "Du hast Klopapier …" flüstert erschrocken der Nager im hellblaue Samtfrack. "Genaaau."
Zum Beweis lüpft der Affe die linke Mantelseite, bis im Innenfutter die ersten Rollen blitzen.
"Und, willst du Klopapier?" Albert nickt eifrig: "NATÜRLICH!" Er ist doch kein Wellensittich, der mit einer alten Zeitung als Unterlage zufrieden ist. "Psst! Muss ja nicht jeder mithören." Der Mauseherr zuckt zusammen: "Du würdest es mir verkaufen?" Er wirft einen letzten Blick auf die Rollen, bevor der Mantel wieder zuklappt: "Genaaau."
"Ich bezahle die Rolle dann vorn an der Kasse?" Albert versteht noch nicht, warum der Supermarkt das Klopapier nur noch einzeln und persönlich übergibt. Und warum der Fremde keinen weißen Kittel trägt, wie die anderen Mitarbeiter. "Nun, ich bin selbstständiger Einzelhändler und nur hier, weil meine Kunden auch hier sind," erklärt die dunkle Gestalt. "Dann gehörst du gar nicht zum Personal?" "Genaaau. Deswegen habe ich ja noch ein paar besonders gut gewickelte Rollen für spezielle Kunden." Der Affe blickt sich schnell um, ob auch niemand sie belauscht. "Die sind aber ruckzuck weg." Albert schluckt: "Ich kaufe bei dir direkt?" "Genaaau."
"Jack, leg deinen Mundschutz an." Alice findet es überhaupt nicht witzig, dass der Mäusejunge ihn runtergezogen hat, als er sich zwei Lutscher gegriffen hat. "Wie soll ich denn lutschen, wenn ständig ein Stofffetzen vor der Nase hängt?" Es reicht doch, wenn die Süßigkeiten alle unter Quarantäne sind, weil alles einzeln in Folie verpackt ist.
Menno, Alice ist so eine Schlaumeier*in: "Gelutscht wird erst, wenn sie bezahlt sind." So lange kann der kleine Matrose auch mit dem Mundschutz warten und sich draußen dann in eine einsame Ecke verziehen. "Wenn alle anderen so eine Maske tragen, kann ich auch ohne gehen." Muss ihm ja keiner nachmachen.
Der Hase ist aufmerksam geworden. Was zeigt der Affe heimlich der kleinen blauen Maus? Das sieht doch verdächtig nach Klopapier aus. Er hat schon die Tiefkühlwaren und Bananen gebunkert. Auch etwas Schokolade für die eigene Belohnung, wenn er nun alle Tage brav im Bau bleibt. Aber die kostbare Rollenware für stille Orte fehlt noch im Einkaufswagen.
Er spricht die große dunkle Gestalt im weiten Mantel an. "Ihr habt das weiße Gold unserer Tage?" Der Affe bürstet ihn unwirsch ab. "Warte doch, bis du dran bist!" Er hasst es, mitten im Verkaufsgespräch unterbrochen zu werden, wenn der 'Fisch' gerade am Haken zappelt. Sonst springt er doch noch davon.
Der 'Fisch' äh Albert lässt sich von irgendwelchen Konkurrenten längst nicht mehr beiseite schieben. Im Gegenteil, er sollte zugreifen bevor diese letzten Rollen auch noch weg sind. Zumal er nur noch jetzt einen streng limitierten Sonderpreis als persönlichen Bonus bekommt. "Weil ich so ein guter Kunde bin …" "Genaaau."
Die Verhandlungen sind fast abgeschlossen: Der kleine Nager im blauen Frack muss sich nur noch zwischen 'drei-lagig flauschgenoppt' und 'vier-lagig supersoft' entscheiden. Natürlich kann er nicht mit Karte zahlen und es gibt keine Punkte. "Nur Bares ist Wahres," murmelt er, als er nach dem Portemonnaie nestelt. "Genaaau."
"Ich habe eine Quittung!" Albert versteht gar nicht, warum Victoria sich aufregt. Damit bekommt er seine Rolle gleich sicher durch die Kasse. Er hat sich immerhin um die gemeinsame Versorgung mit überlebenswichtigen Wertstoffen gekümmert. Bevor das letzte Blatt runtergespült ist und die Familie in die sprichwörtliche Pappröhre guckt.
Das ist mal wieder typisch für ihren Albert. Kauft er mitten im Supermarkt für einen Horrorpreis eine einzelne Rolle Klopapier. Als wenn das wirklich helfen würde. Victoria seufzt, sie hat längst nachgefragt und sich vom weißen Wolf für morgen ein 12er Paket zurücklegen lassen. Das kostet dann sicher weniger als Alberts Einzelstück. Der Affe ist inzwischen weitergezogen und verhandelt längst mit dem nervösen Hasen.
Idee: SchneiderHein Fotos: W.Hein
Ewige Kinder meiner Generation haben es sicher sofort erkannt: Das Verkaufsgespräch mit dem Affen und Albert ist eine direkte Hommage an die dubiosen Geschäfte von Schlemihl mit Ernie in der Sesamstraße. Es ist zwar kein 'A' oder eine 'Flasche mit Luft'. Aber der immer noch andauernde Hype um Klopapier ist im Moment auch kein Deut vernünftiger. Einige eifrige Käufer machen wahrscheinlich aus den gekauften Paketen eine Dämmung für den Innenraum in der kalten Jahreszeit. Oder planen eine Zweitwährung für die Zeit nach dem Euro. Eine Rolle hat 250 Blatt, man kann also auch kleinere Beträge rausgeben.