Donnerstag, 30. April 2020

Fliegerleid



Die kleine weiße Maus ist im Stress. Jedes Jahr in der langen Nacht zum 1. Mai steigt auf dem Brocken im Harz der wilde Hexentanz zur Walpurgisnacht. Nachdem es mehrere Jahre an der fehlenden Flughöhe gescheitert ist, will sie dieses Jahr nicht darauf verzichten. Sie hat den Zauberstab gegriffen und wird gleich nach dem passenden Zauberspruch googeln. Aber bis jetzt zicken ihre mitfliegenden kleinen Schrecken*innen. Sie hat sich von Midnight und Candy die ersten Absagen geholt, weil die ja lieber ödes "Home-Office" machen also 'Heimhexen'.

Also ruft sie mit dem nächsten Video-Call Treat und Wanda. Sie erwischt die beiden Grünlinge am Flughafen. Nachdem sich die Hexenmäuse in den letzten Jahren noch auf die weiße Flugexpertin verlassen und deshalb nie rechtzeitig abgehoben haben, gehen sie diesmal lieber den professionellen Weg. (Zum Glück führen die Drachen das Terminal und nicht irgendwelche Bären. Sonst wäre das alles hier noch eine Baustelle.) Das blaue Gepäck von Wanda müssen sie noch einchecken, während Treats karierter Koffer schon verschwunden ist. Für die Kabine haben sie die praktischen Kürbistaschen umgehängt. Eigentlich sind die Hängebeutel für das kleine Einsacken zu Halloween – aber wenn beim Billigflieger der Service entfällt, braucht maus während des Fluges doch Proviant im Bordgepäck.

Für die beiden ist klar, dass eine Walpurgisparty heilig ist. Also wenn eine kleine weiße Maus mit dabei sein will, soll sie sich sputen: "Lass den ganzen Zauberquatsch und komm hierher. Unser Flug ist noch nicht aufgerufen."

Auch Wanda will das ganze Gerede über individuelle Besenflüge mit Zauberstäben und warum es diesmal 'funzt' nicht hören. Jedes Jahr dasselbe! "Wir nehmen diesmal den Großraumbesen und warten auf dich … aber nur bis der Flieger abhebt."

Hupps, sie sollten auch in der Abflughalle Abstand wahren. Schnell geht jede Maus in ihre Ecke. Vielleicht hätte sich dafür jede einen Gepäcktrolley nehmen sollen – als Abstandshilfe wie die Einkaufswagen im Supermarkt. Aber dann hätte Treat nicht ihren Koffer schon aufs erste Gepäckband stellen sollen. Da war der Koffer schon verschwunden, bevor sie überhaupt abgeflogen sind.

Doch Treat hat Glück. Ein Mitarbeiter im Flughafen hat das flüchtige Gepäckstück gestellt, bevor es nach Kasachstan verladen werden konnte oder einen Trip zum Dach der Welt buchen konnte. Aber eigentlich wäre es auch egal gewesen: "Für heute sind alle Flüge gestrichen."

Dann braucht sich eine kleine weiße Maus auch nicht beeilen. Treat und Wanda sind offensichtlich in der Abflughalle gestrandet und können schauen, ob sie die Nacht auf den Plastiksitzen der Wartebänke verbringen wollen. Sie schaut auf ihren Zauberstab, den sie dafür langsam in den Pfoten dreht: Merkwürdig, dieses Misstrauen der beiden grünen Hexennager in die Selbstfliegerei.

Dabei wollen einige Schrecker*innen durchaus noch mit dem Besen selbst durchstarten. Sie stehen auf dem Flugfeld und versuchen das ausgefeilte Reisekonzept der Mephisto AG umzusetzen. Damit soll der Brockenflug gelingen, stecken doch die selben Berater hinter diesem Konzept wie beim Plan für den Frühstart der Bundesliga. Es ist aber schon beim Abheben ganz schön schwierig umzusetzen: Eine Zwei-Besen Abstandsregel gilt für den Start und natürlich später auch im Formationsflug. Wie soll das erst beim wilden Tanz am Hexenplatz im Harz werden? Das war in den letzten Jahren doch immer ein einziges Durcheinander …

Noch wartet Incy mit den anderen auf die Starterlaubnis. Er ruft seinem Flügelmann zur Rechten zu, ob es sich denn schon lohne, in Flugposition zu gehen. Sie könnten sich auf den Besen schwingen, um gegen den Wind abzuheben. Wenn er nur wüsste, in welcher Richtung sie sich dafür drehen müssen.

Startvorbereitung einleiten und dann gegen den Wind? Scaridy hat auch keine Ahnung, wie es weiter geht. Es ist auch so umständlich, das mit den Masken zu klären: Ständig behindert das Tuch die Aussprache. Es klingt alles wie unter einer Wolldecke und selbst das Atmen wird so nicht einfacher.

Pumkin Pickle hat noch ganz andere Sorgen. Sie hat nur einen Minibesen erwischt, so eine Art Handfeger und fragt sich, ob dieser Kleinflieger sie überhaupt weite Strecke tragen kann. Der ist sicher nur für Stadtrundflüge gedacht.

Dann kommt die Durchsage vom Tower: "Ihre Fernflüge werden abgesagt. Es gibt keine Starterlaubnis für Privatflieger."

Das wird so nichts! Dieses Jahr haben weiter fliegende Hexer*innen wohl überall Flugverbot. Die kleine weiße Maus gibt aber noch lange nicht auf. Maske auf und sie ist bereit. Die Schreckerin in Teilzeit überlegt und überlegt. Plötzlich saust die geballte Pfote nach vorn. "Hah!" Sie hat die Idee: "Ich weiß, wie ich doch noch zur Walpurgisnacht am Brocken komme!"

Wenn heute alle Starts ausfallen, können alle kleine Schrecken*innen auch abziehen. Zurück bleibt nur ein einsamer Spielzeugbär an einem Fernrohr auf der Aussichtsplattform.


Idee: SchneiderHein     Fotos: W.Hein

Das letzte Bild ist meiner Liebe zum Kino und romanischen Komödien geschuldet. Kleines Quiz: Welcher Film ist gemeint, auch wenn hier dann ein Rucksack fehlt?

Aber damit muss sich niemand aufhalten: Es geht nach einem kleinen Intermezzo weiter. Die kleine weiße Maus hat ja einen Plan …


3 Kommentare:

Centi hat gesagt…

"Zum Glück führen die Drachen das Terminal und nicht irgendwelche Bären. Sonst wäre das alles hier noch eine Baustelle."
Ich schmeiß mich weg... :D

... und drücke die Daumen, dass doch noch alle auf den Brocken kommen!
(Das mit den Bundesliga-Beratern hat mir auch sehr gefallen)

LG
Centi

Anonym hat gesagt…

Wie schön, mal wieder einen Flughafen zu sehen ! Check in und großes Reisegepäck, Kribbeln im Bauch vor dem Take off ... und dann wird alles gestrichen ! Keine Starterlaubnis, auch nicht für Privatflieger wie Hexen auf ihrem Besen ! Da rettet mich jetzt nur noch die Idee der weißen Maus, also schnell weiterlesen ... LG, Manu

heinwerken hat gesagt…

@ Centi,
Super, dass Dir die kleinen Nebenschauplätze aufgefallen sind. Wie inzwischen klar geworden ist, haben es die kleinen Schrecker leider nicht zum Brocken geschafft. Aber eine gute Alternative gefunden ;-)

@ Manu,
Wow, was die kleinen Mäuse mit dem Flughafen bei Dir alles auslösen können! Silke und ich sind eigentlich keine großen Flieger und wenn es danach geht, müsste demnächst eine Geschichte auf so einem Wasserwolkenkratzer mit integrierter Shopping-Mall - einen Kreuzfahrer vor Venedig oder Dubrovnik – spielen. Das wird dann sicher noch mitreißender ;-)))

Liebe Grüße Wolfgang