Sonntag, 25. Juni 2017

Katzenjammer



"Guck dem Mädel nichts weg!" raunzt Sinclair den Küchengehilfen an. "D-d-da gibt es nicht viel wegzugucken," stammelt der Schmuddelmäuserich. Sein Kopf wäre dabei sicher eine knallrote Bombe, wenn es das Struwwelfell nicht gnädig verdecken würde.

Kinners, Kinners, Kinners! Dabei soll der Kleine die Küche sauber halten, und all die Bestellungen machen sich auch nicht allein. Jetzt hängt der Junge die ganze Zeit vor den leicht bekleideten Damen. Die hätte er besser wohl doch nicht im Diner aufhängen sollen. Dabei erinnern sie den Chef an die Zeit, als er noch zur See gefahren ist. Da hatte er in jedem Hafen eine. Jetzt halt an jeder Küchenstation.
 
Wie sieht denn überhaupt die Spüle aus? Die Arbeitsfläche ist vollkommen zugestellt. Da liegt ja frisches Gemüse dazwischen! Heiliger Klabautermann, ist das denn hier plötzlich eine Sterneküche? Dabei brutzeln sie doch in diesem Diner nach der Maxime: 'Wenn es in die Friteuse passt, kann man es töten.'

"Die Hamburger müssen gedreht werden und der Toast soll diesmal goldbraun werden und nicht wieder schwarz!" Der Kleine hat einfach keinen Blick für die Arbeit. "Nun mach zu, mein Jung'!"

"Die Dinger dunkeln nun auch von der anderen Seite." Der Gehilfe steigt wieder vom Hocker und sieht sich etwas ratlos in der Küche um: "Und was soll ich jetzt tun?" Der Chef hat schon die sieben Weltmeere gekreuzt, aber so viel Luftraum im Kopf ist ihm bisher noch nicht untergekommen: "Dran bleiben am Grill, damit es nicht wieder werschmort! Dann das Gemüse in den Kühlschrank zum Vergessen. Und mach Ordnung auf den Tischen! Man kann so die Abfälle nicht von den Hamburgerbauteilen unterscheiden" Dann soll der Jung' den Müll nicht wieder vergessen. Waren die Schiffjungen damals auf See auch schon so verpeilt?


"Lass dich nicht ablenken! Die Augen immer auf den Grill!" Der Chef verdreht die Augen: Wo guckt der Kurze wieder hin. "Ich meine nicht den Grill mit der Frau an der Wand!" Morgen hängt er alle Bilder in der Küche wieder ab. Jedenfalls die mit den Frauen.

Er muss sich jetzt wieder um die Franzmann Fritten kümmern, die lustig im Friteusenfett tanzen. Der Küchengehilfe kann inzwischen den Müll rausbringen. Dort draußen gibt es wenigstens keine Ablenkungen.

"Und das du mir ja nicht vergisst, gleich wieder reinzukommen,° ruft er dem Strubbeljungen hinterher, bevor er die Pommes endlich aus dem Fett zieht. "Es gibt noch viel zu tun. Was machen die Bestellungen? Ist da schon was rausgegangen?" Der Assi zuckt mit den Schultern: "Weiß nicht. Ist wohl schon länger her." Da wird der Chef gleich selber nachschauen müssen.

Hier steht immer noch eine Tasse Kaffee in der Durchreiche. Der dampft hier schon eine Viertelstunde vor sich hin. Muffig ruft der Chef zu den Tischen: "Heh! Der Kaffee ist fast schon wieder kalt. Holt den noch jemand ab oder soll ich nochmal in die Microwelle stellen." Auch wenn sich noch keiner rührt, bezahlt werden muss die Tasse auf jeden Fall. Er arbeitet ja schließlich nicht zu seinem Vergnügen hier.

Immer noch keine Reaktion von den Tischen. Auch am Tresen bleibt es mucksmäuschenstill. Lil' Screamer hat den Kaffee nicht bestellt. Sie hält sich schon die ganze Zeit an ihrer Cola fest.

Der Kaffee der schwarzen Katz hat auch schon wärmere Minuten gesehen. Aber eigentlich ist die grummelnde Miez viel zu unruhig, um etwas essen zu können. Sie hat nur etwas bestellt, damit sie der graue Seebär hier warten läßt und sie sich ganz ihrer Unruhe hingeben kann.


Die beiden Katzen am Tisch sind ganz in ihr Gespräch vertieft. Wo gibt es die süßesten Mäuse? Wer macht die besten heißen Hunde? Und was ist eigentlich aus der Katze auf dem heißen Blechdach geworden? Da haben sie ganz die Zeit vergessen. Und die Tasse Kaffee auch.

Eine kleine gelbe Katze – gefangen im Körper einer Maus – blickt die ganze Zeit sehnsüchtig zu den beiden Miezen. Sie gibt seit Tagen ihr ganzes Taschengeld aus, um in der Nähe der Katzen bleiben zu können. Wie gern würde sie rüberschlendern, und einfach über Katzendinge reden. Aber was ist, wenn die beiden in ihr nur einen Nager mit aufgesetzten spitzen Ohren sehen?

Davon ahnen die beiden nichts. Dafür sind sie viel zu beschäftigt, sich die Wartezeit nicht zu lang werden zu lassen. Noch geht ihnen der Gesprächsstoff nicht aus. Dann kennen beide noch jede Menge Schnurren, über die nur Katzen lachen können. Und es gibt ja Schlimmeres, als mitten im Schlaraffenland festzuhängen. Der Küchenchef mag ja noch so granteln, wenn sie rufen bekommen sie ziemlich sofort heißes Essen und kühle Getränke. Und im Hintergrund säuseln dazu mehrstimmiger Harmoniegesang von kalifornischen Träumen oder das Hohelied einer wundervollen Welt aus der Jukebox.


Plötzlich strafft sich die schwarze Katz und deutet zum Fenster: "Sie ist gekommen! Endlich ist sie da!" Auf diesen Anblick hat die dunkle Miez schon so lange gewartet. Ein Auto ist draußen vorgefahren. Die Purpur-Katze ist gekommen, um sie abzuholen. "Jetzt aber hurtig!"

Die Schwarze drängt zum Aufbruch. "Schnell! Schnell!" und "Keine Zeit!" als die beiden anderen Katzen noch aufessen wollen. Es widerstrebt ihnen, Essen zurückzulassen. Die lila Fahrerin könnte sich doch dazuhocken. Oder sie könnten sich Hundetaschen packen lassen. Doch für so etwas hat die hektische Schwarzkatz nun wirklich keine Zeit …


Die drei Miezen sind schon fast zur Tür raus, da … "Moment," bremst eine helle Katz. "So eine Fahrt ist lang, da brauchen wir unbedingt noch Reiseproviant." Und so muss sich eine schwarze Katz gedulden, bis beide etwas schnelles Warmes auf der Hand haben.


 Jetzt ist es fast zu spät. Die Katzen sind gerade zur Tür raus und sie hat noch kein Wort mit ihnen gewechselt. So wird sie nie eine echte Samtpfote werden. Die kleine Mausekatz springt auf und stürmt aus dem Diner.


Oh, oh, hoffentlich kommt sie nicht zu spät. Sie könnte sich auf die Zunge beißen – oder sonst wohin. Warum hat sie nur so lange gewartet?

Endlich ist die Purpurkatz gekommen, um die Kollegen abzuholen. Es hat etwas gedauert, bis sie den richtigen fahrbaren Untersatz organisieren konnte. So mussten die drei Katzen viel länger als gedacht im Diner warten. Nun können sie endlich zu viert in die Ferne schweifen. Die schwarze Katze trommelt mit den Krallenspitzen schon ungeduldig auf dem Armaturenbrett. Die Purpurkatz macht sich nur Sorgen um das Auto. Es ist ein Traum in rosa. Sie hat sich schon längst nach den ersten Metern in ihren Pink Cadillac verliebt.


Deshalb wäre es auch gut, wenn jetzt nicht gleich Tomatenketchup oder Senf auf das helle Polster gekleckert wird. "Müsst ihr im Auto überhaupt was essen?" fragt die Fahrerin entrüstet. "Ihr kommt doch aus einem Diner? Ihr müsst doch pappsatt sein." "Wir mussten das Essen ja stehen lassen, weil wir so überhastet aufgebrochen sind, verteidigen die Hinterbänlker die knurrenden Mägen. Bevor es losgeht, dreht Flash die Purpurkatz sich auf seinem Sitz noch einmal herum und verteilt Benimmregeln für die Rückbank.


"Also, ich will hier keine Flecken haben. Fasst nichts mit fettigen Pfoten an. In den Seitentaschen findet ihr Erfrischungstücher im Zitronenduft. Und lasst die Verpackungen nicht rumfliegen. Ich will keine Sauerei oder Unordnung hier hinten sehen. Und vergesst nicht, ich behalte euch im Rückspiegel im Blick!" Die Purpurkatz lässt sich wieder hinters Steuer gleiten. Schon jetzt genervt fragt sie die schwarze Katz: "Musstest du die beiden Tölpel wieder mitbringen? Schon das letzte Mal haben sie uns fast die Haare vom Kopf gefressen. Und als Nacktkatze sehe ich nicht besonders vorteilhaft aus."


 Die beiden hellen Miezen im Fond können nur den Kopf schütteln. Wenn Gottkater nicht gewollt hätte, dass im Auto geschmaust wird, hätte er sicher nicht zugelassen, dass spitze Pommespapiertüten, Wurstpappen und Styroboxen für Hamburger und den ganzen anderen Grillkram erfunden werden. Es ist also eine heilige Pflicht auch unterwegs zu futtern. Sonst würden ihre knurrenden Mägen am Ende noch den Motor übertönen.


Der kleine Gehilfe kann wieder abräumen. Fluchtartig haben alle Katzen den Raum verlassen und hastig bezahlt. Zurück bleiben volle Teller und Gläser. Irgendwie reicht die Selbstbedienung selten bis zur Rückgabe. Und jetzt muss er mit dem Tablett zurück noch mehr aufpassen, wenn die Teller noch so schwer sind. Wieso sind alle davon gestürmt? So schlimm kann das Essen doch nicht sein.


Nur eine kleine niedliche Maus ist geblieben und hält sich weiter an ihrer Cola fest. Nein, hier muss er noch nicht abräumen. Wenn der Chef in der Küche nicht so drängelig wäre könnte er sich dazuhocken. Vielleicht ist die Kleine ja nett und ihm fallen sogar die richtigen Worte ein. Sie ist nicht nur ein Traum an der Wand. Er muss ja nicht unbedingt von seinem Küchendienst erzählen … oder … äh "Was ist los da draußen," tönt es da schon aus der Küche: "Hast du Wurzeln geschlagen? Soll ich rauskommen und dich begießen?" Da nimmt der Gehilfe schnell seinen ganzen Mut zusammen: "Ist noch genug Mayo da?" "Danke, ich hab schon," murmelt eine lila Maus nur abwesend.


Draußen hat sich der pinke Cadillac endlich in Bewegung gesetzt. Auf der Rückbank wird schon die Wegzehrung ausgepackt – mjam – und natürlich nicht gekleckert. Dafür segelt die Karte davon. Aber man kann ja nicht alles im Blick behalten.


Dabei sind doch diese Polster alle abwaschbar. Manche Katzen werden ganz schön pinselig, wenn sie plötzlich ein eigenes Auto fahren. "Passt bloß auf!" zischt die schwarze Katze. Sie will endlich in langersehnte Ferne und keine weiteren Störungen, die zu neuen Halts zwingen und damit die kostbare Fortbewegung gefährden.


Die gelbe Katzenmaus erreicht die Straße und läuft den davon eilenden Katzen hinterher: "Halt, nehmt mich mit," bricht es in unerhörter Lautstärke aus dem kleinen Körper hervor. Die Angst nie dazuzugehören, weckt ungeahnte Kräfte in der gefühlten Katze.


Bevor sie noch lauter rufen kann, schlägt dem kätzischen Nager eine fliegende Karte ins Gesicht.


Zuerst verschlägt es ihr den Atem. Doch schnell hat sie sich wieder gefangen. Wütend kickt die gelbe Mausekatz die blöde Karte davon.


Als endlich die Sicht wieder frei ist, sind ist der pinke Schlitten schon wieder kleiner. Sie ruft noch einmal aus Leibeskräften: "Neeehmt miiich mit!" Aber die Katzen sind schon zu weit weg und hören nicht. Diesmal wird eine kleine gelbe Katze garantiert nicht mit ihnen mitfahren.

Die Katzenmaus wird auf die nächste Katzenfuhre warten müssen. Sie zieht sich auf die Außenterasse des Diner zurück, um die Rückkehr der Katzen ja nicht zu verpassen. Hoffentlich muss sie nicht so lange ausharren, wie es offensichtlich schon einige andere hier tun.


Fotos W.Hein

Dies ist nun das Diner in seiner schönsten Form. Vielleicht etwas testoron geschwängert in der Küche. Aber dafür sind auch einige chromblitzende Profigeräte eingezogen. Der Gastraum bietet genügend Platz für alle Katzen und Mäuse von Deb Canham. Auch die Jukebox ist schon im All gewesen. Dazu kommt gleißendes Licht von oben, das die Räume besser ausleuchtet. Und draußen wartet eine Illusion von 'Joshua Trees' in New Mexico.



6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Statt Zeitreise diesmal on the road again ;-) Großartig ... die weiteren schmunzligen Einblicke in das Küchentreiben und in das stylische Diner, da würde man sich sofort dazusetzen und lange verweilen, auch wenns auf der Terrasse etwas gruselig ist ;-) Und wirklich atemberaubend wirds dann auf der Route 66 ... ihr schafft es immer wieder, dass ihr einen beim Lesen MITNEHMT !
Liebe Silke, lieber Wolfgang, hoffentlich bezieht sich der Titel nur auf die Helden im Diner ! Wie immer liebe Grüße und gute Zeiten für euch, Manu

heinwerken hat gesagt…

@ Manu,

ich hoffe, der Meerbär und die Katzen sind nicht zu oft "on the road". Silke verliert da schon etwas den Überblick und wünscht sich lieber kurze knackige Posts als neue Feinheiten im Diner. Aber es hat doch etwas gedauert, die schönste Szenerie zusammen zu suchen, da ist auf dem Wege so einiges fotografiert worden. So es wird noch einmal auf den Highway gehen und dann sprechen wir noch über Mausearbeit im Diner. Vorher wird es aber wieder knapper, das Kowagörl steht in den Startlöchern, nachdem im letzten Jahr nach 5 Kalendermotiven plötzlich Schluss war. Und die Erdmannen haben auch große Pläne. Dagegen wird an den nächsten Zeitreisen noch gefeilt, damit es mit der Karriere der Plagegeister noch etwas wird.
Insofern ist der größte Katzenjammer, dass wir als Ein-Katzen-Haushalt etwas unterbesetzt sind und Allegra leider immer tüddeliger und ferner wird.
LG Wolfgang

Anonym hat gesagt…

Gerade die vielen Feinheiten machen so viel Spaß beim Lesen und nächstes Kowagörlie und Neues von den Erdmannen klingt gut ... auch wenns knapper und kurz und knackig wird ;-) Bloß schade, dass ihr immer noch ein Ein-Katzen-Haushalt seid !! Deshalb erstmal viel Gutgehen für Allegra und herzliche Grüße an euch beide, Manu

Anonym hat gesagt…

P.S. Danke auch für die Antworten auf die Kommentare ! Ja, nach den letzten Tagen "summer in the city" wünscht man sich "raindrops falling on my head". Und schade, dass man das faste Food und das Gebrutzle immer mehr meiden muss, um in diese engen Sportwagen zu passen ;-) Nochmal LG, Manu

Anonym hat gesagt…

SO eine coole Geschichte. Wunderbar eingefangen, die Situation im Diner und mit dem schicken pinken Gefährt auf der Route 66. Eure fotografischen Tricks und Ausstattungrn werden immer ausgefeilter und perfekter, echt klasse. Wir haben uns gefühlt, wie damals in Kalifornien beim Lesen und ziemlich geschmunzelt beim Lesen :-))))

Grüsse von den Kuschelbären

heinwerken hat gesagt…

@ Manu
Ja, am Ein-Katzen-Haushalt knapsen wir ganz schön. Zumal Allegra ihren Aktionsradius immer kleiner macht. Wenn wir die schöne Katz sehen wollen, können wir eine halbe Treppe tiefer in die Kleiderkammer gehen, weil dort Madame auf dem Kissen thront. Dafür hat sie vorher den Keller überschwemmt, weil das Zielen beim Pieseln offensichtlich nur wir wichtig finden. Da machen wir uns schon Gedanken, ob die alte Dame bei jungen Frechdachsen nicht unter die Räder kommt. Und andererseits, ob Allegra dann hoffentlich keine Vorbildfunktion hätte, wenn Jungkatzen gerade stubenrein sind. Da haben wir noch keine Lösung. :-(

@ Kuschelbären
Schön, wenn wir euch so auf die Reise nehmen konnten, dass ihr wieder in Kalifornien angekommen seid. ,-)