Montag, 21. September 2020

Die grellen Lichter der Nacht

 

Ein Raunen geht durch die Reihen. Endlich betritt die Band die Bühne. Der Sänger nickt knapp dem Publikum zu und greift sich den Mikrofonständer. "Uhhhwahhh! Seid ihr berreit? Berrrreit füüür Stunden voller bunter Verrrückheit?" In die Kunstpause drängen sich die ersten Gitarren. Der Gelbschopf legt den Kopf schief, bevor er flüstert: "Und etwas Musik?" Das Publikum antwortet mit Johlen und begeistertem Kreischen der Mausegroupies!

Dann bricht die 'Overture over fur" mit infernalischem Getöse über die Anwesenden herein. Painful Plaid beginnt alle Konzerte mit voller Wucht, um den Fans erst einmal die Gehörgänge frei zu blasen. Von all dem Gesäusel der Fahrstühle, Supermärkte und Kommerz-Formatradios. Die Fans wissen das und erwarten das auch so … Nur die zufällig Anwesenden, die ihre Karten letzte Weihnachten geschenkt bekommen oder beim Preisausschreiben gewonnen haben, halten sich erschreckt die Ohren zu.

"Ich komme nicht durch." Die kleine weiße Maus ist mit Jack durch die Zeit angereist. Das letzte Mal hat sie die Band mitten im Nirgendwo angetroffen. Ihr Konzert hatten sie gerade verkifft. Jetzt stehen sie endlich auf der großen Bühne. Schon damals wollte sie die neue Leadguitar spielen und eine Zusage hatte sie schnell bekommen. Nun kann Max sein Versprechen einlösen – doch sie kommt nicht bis zur Bühne. Jack fragt sich noch, wann sie überhaupt hier gelandet sind? In der Gegenwart würde jeder Besucher sein Smartphone hoch halten und das Konzert aufnehmen, um es danach bei YouTube einstellen.

Hier heißt live noch, dass alle selber sofort zuhören und sich nicht erst später an der Retorte freuen.

Die Fans sind von der 'Overture' ohne Hemmungen und Filter noch ganz sprachlos. So entsteht eine kurze Pause bevor das erste 'reguläre' Stück mit einem Gongschlag beginnt.

Max greift sich wieder das Mikro und kündigt den nächsten Song an: 'Stellar Overtime' und das ist wörtlich zu nehmen. Denn Painful Plaid machen keine Gefangene, wenn es um die Länge ihrer Stücke geht. Und im Konzert hängen sie gern noch ein paar Verzierungen dran.

So greift Kurt beherzt in die Tasten, um in den ersten Minuten die Harmoniegebirge aufzutürmen, die von den Gitarren dann wieder Stück für Stück niedergesägt zu werden.

Max wippt mit dem Mikrofonständer im Takt der Power zweier Schießbuden. Er summt die erste Strophe, um sich einzustimmen. Noch dröhnen die Gitarren und wummert der Bass für den interstellaren Flug durch einen Asteroidengürtel bevor der Kurs auf die nächste Doppelsonne gesetzt wird …

Kurt übernimmt mit dem Keyboard den Gleitflug mitten durch die beiden Sonnen, nur der Bass treibt ihr musikalisches Sternenschiff durch die geifernden Protuberanzen.

"Uhh Yeahh!" übernimmt der Chefkosmonaut das Kommando. "Weeaah drive thru the starrrs!" Max lässt es krachen! "Uhhh Yeah!" Und die Mäusemädchen vor der Bühne schmelzen dahin.

Er gurgelt, röchelt und grummelt sich durch die Verse. Die Fans können jedes Wort mitsingen, da muss er sich mit der Verständlichkeit keine Mühe geben. Aber niemand kann diesen Song so interpretieren wie er. Denn niemand weiß, was er als nächstes tun wird. So dehnt er den Refrain bis zur äußersten Schmerzgrenze der Gehörgänge: "Ssssssssteeeeaarlllllaaahaaaaaaarrrr Oouuaaavveeeeeeerttiiiiiiiiiieeeeeeeehhhhhhhhmmmmmmmmeeeeaaaahhhhr …"

Bob kann sich ein Grinsen kaum verkneifen. Jedes Konzert dasselbe Spiel. Sie versuchen Max so lang wie möglich am Singen zu hindern und wenn er endlich loslegen darf, dehnt er jede Silbe bis zur Unendlichkeit – und zurück.

Nur den beiden Schlagzeugern ist es egal. Sie sind sowieso nicht zu bremsen. Und wenn einer von beiden mal einen Schluck trinken will, trommelt der andere in der Zeit halt mit der doppelten Intensität.

Doch im Moment ist eine Pause nicht zu denken. Gleich beginnt ihr großes Doppelsolo, wenn der interstellare Überflug sich dem schwarzen Loch nähert und sich alles beschleunigt, bis es dem Piloten die Stimme verschlägt.

Sie hätten mehr Ohrenwatte mitbringen sollen. Was für eine Karriere: Gestern noch (wenigstens gefühlt) haben sie diese Hippies wegen Ruhestörung verwarnt – heute müssen sie den Ordnungsdienst für ihren Radau machen. Und kleinen Mädchen den Weg zu den Toilettenanlagen zeigen.

Misstrauisch betrachten die Cops die kleinen Verrückten vor der Bühne. Wer geht sonst freiwillig in so einen Hexenkessel? Sie sollen Präsenz zeigen, aber niemanden stören. So stehen sie am Rand, wo die großen Boxentürmen stehen. Und sehnen sich nach der nächsten Einsatzfahrt mit Sirenengeheul.

Da ist das große Doppelsolo. Nur die beiden Schlagzeuger werfen sich die Bälle zu. Abwechselnd stürmt einer von beiden voraus, fordert den anderen mit immer neuen Taktwechseln heraus, brilliert mit seinen Tricks und eilt kurz danach atemlos dem Partner hinterher. Dann steigt die restliche Band ein, kurz bevor sie das schwarze Loch erreichen und die Bühne im Dunkel versinkt.

Ein kurzer Moment der Stille, den einige Mausmädchen sofort zum Ratschen nutzen. Wo gibt es die leckersten Erdbeershakes? Warum trägt Pretty immer Pink? Hat Pearl einen Freund oder warum ist sie nicht bei ihnen? Hat jemand noch einen Zehner? Die Getränkepreise sind viel höher als beim letzten Konzert. Ich trinke immer vorher und dann danach. Auf dem Weg zum Konzert war doch eine Trinkhalle. Der Rest geht in den ersten Takten des nächsten Stücks unter. Nicht, dass die Mädels stoppen, aber ab jetzt hört sie keiner mehr.

"See me max play" beginnt mit Max an den Bongos. Er steht im Zentrum der Bühne und trommelt und streicht zärtlich mit den Händen über die stramm gespannten Felle.

Der Sänger überlässt die anderen Instrumente gern der übrigen Band. Singen ist schon Job genug. Und jemand muss sich auch um die ganzen weiblichen Fans kümmern. Wegen der trockenen Tränen und den feuchten Träumen. Aber die Bongos nimmt er gern, um einen kurzen Moment verschnaufen zu können.

Die anderen kennen das Riesen-Ego von Max und sind an manchen Tagen froh, überhaupt noch Platz auf der Bühne zu haben. Aber einer muss ja auch den Riesenmax oder Oberpimpf machen. Denn, wenn sie nur ihre Gitarren schwingen würden und alles entspannt angehen ließen, würden sie wahrscheinlich nur auf Hochzeiten Coverversionen spielen.

Da sind Rick und John lieber echte Rockstars mit wilden Groupies, knorrigen Roadies und fliegenden Fernsehern in fremden Hotelbetten weit weg von zuhause. Es ist nicht immer einfach. Aber immer noch besser als fremden Schmalz als Mietmusiker auf Familienfeiern in entlegenen Landgasthöfen abdudeln zu müssen.

Zu beiden Seiten der Bühne stehen die Boxentürme der berühmt-berüchtigten 'Wall of sound'. Keine Band stapelt mehr Boxen auf die Bühne. Mächtige Lautsprecher sorgen für den richtigen Druck. Es mag Bands geben, die besser spielen. Es mag Bands geben, die mehr Hits haben. Manche Bands machen mehr Kleinholz. Aber keine Band ist lauter. Das weiß auch der nervöse Musiker, der hinter den Boxen auf seinen Auftritt wartet.

Endlich winkt Max ihn zu sich auf die Bühne. Es ist Star, der frühere Lead-Guitaristo von Painful Plaid. Jahrelang sind sie sich aus dem Weg gegangen, nun ist es endlich Zeit für das große Wiedersehen. Wenn es auch nur für ein paar Minuten auf der Bühne ist.

Max begrüßt Star, stellt ihn kurz den Fans vor und überlässt ihm die Bühne für seine Version von 'Star spank the banner': "Oh yeah, boy oh boy, wish you cum a star?" Die Mausemädchen kreischen. "Here he is …" Star lässt seine Gitarre aufheulen und fetzt über die Saiten.

"Oh boy, can you see the damn' early light?" haucht Max in sein Mikro. Währenddessen schwingt sich die Hymne in immer neue Höhen, bis sie zu "… the rockets red glare, the bombs bursting in air …" in einem Feuerwerk der ineinander verwobenen Akkorde explodiert. Niemand macht das so wie Star, der jetzt erst richtig aufdreht.

Atemlos hängen die Fans an seinen Fingern, die über die Saiten tanzen. So lange mussten sie darauf warten, bis sie den Guitar Hero ihres Bravo-Starschnitts live auf der Bühne erleben können. Dabei haben sie es immer wieder erhofft. Es gab vorher Gerüchte, aber dennoch ist dieser Auftritt eine absolute Überraschung.

"We're the band of the free in a home of the rave." Max singt seine eigene Version wenn Star die Gitarre fliegen lässt. Das ist endlich sein Solo … Er vergisst dabei fast alles um ihn herum und beugt sich immer weiter über die Bühne …

Bis er ins das Gleichgewicht verliert und vom Sofa ins Rutschen kommt …

Unsanft landet er auf dem Boden zwischen verschütteter Cola und halb gegessener Pizza. Wie ist er bloß wieder in seine Bude gekommen?

Fotos: W.Hein

Ist das alles nur ein Traum? Muss Star weiter auf das große Wiedersehen warten? Oder ist das hier der Traum, wenn der Held von der Bühne fällt. Auf jeden Fall hatte Painful Plaid noch einen großen Auftritt verdient. Mit richtiger Bühne, riesigen Boxentürmen, tanzenden Lichtern und sattem Nebel auf der Bühne, der alles schemenhaft und unwirklich scheinen lässt. Eigentlich ein Wunder, warum so eine "harte" Band so viele Girlie-Fans hat. Aber die Mädels mögen ja die bösen Jungs ...


8 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Guten Morgen ihr Lieben,
was für ein tolles Konzert! Ach, da wäre ich zu gern dabei gewesen! Tolle Bilder, herrliche Szenerie, fast wie es im echten Leben mal war ....
Ich hoffe, es geht Euch gut!
Ich wünsche Euch einen guten Start in eine schöne neue Woche!
♥️ Allerliebste Grüße, Claudia ♥️

Centi hat gesagt…

Ja na also. Wer braucht schon die Realität, solange er euch hat?
Mich begeistert vor allem die Lightshow. ;-)
LG
Centi

kleine-creative-Welt hat gesagt…

Wow Wow Wow ---- was für ein irres Konzert - das Publikum rast, drängt sich nach vorne - singt mit - ist in Extase -
lang lang ist es her, dass ich bei Life-Konzerten war - jung, unbeschwert - an den Lippen des Bandleaders hängend - im Rhythmus der Musik bewegend - ach war das schön -
dieses bunte Lichtermeer eurer Lightshow - das fetzige der Musikstücke berauscht -
super gemacht -

liebe Grüße
Ruth

Anonym hat gesagt…

Was für eine Nacht der grellen Lichter und der heißen Rhythmen ! Painful Plaid tritt live auf ! Bühne und Boxentürme und ein Konzert, das durch Mark und Bein und Ohren und Bauch geht ... ein Rausch an Farben und Klängen ... Groupies wie früher, ohne den inzwischen nötigen Abstand und Anstand ... diese wilden Jungs kann man nur lieben !

Hallo, ihr Lieben, schön, wieder von euch zu lesen und immer wieder "sauschön :-" und genial, wie ihr mit euren Abenteuern so viel Schmunzeln, Lachen und gute Laune verbreitet ! DANKE fürs Konzert ... ich werds jetzt gleich nochmal nachlesen und nachgenießen.

Und ich hoffe von Herzen , dass es euch beiden und den Katzenmädels und dem Garten usw. gutgeht ! Viele liebe Grüße , Manu ; -)

Mascha hat gesagt…

Ohh, so viel Farbe! Das schaue ich mir gerne an, so klasse gemacht! Aber ehrlich
bin ich lieber nicht bei solchem Livekonzert dabei, das wäre mir zu viel Gekrache, das hätte ich ja fast von Hannover bis hierher gehört ;)
Nein, gehört hab ich es nicht, sonst wäre ich früher hier gelandet. Ich hoffe doch sehr, es geht Euch allen git -
Herzliche Grüsze für ein schönes WE
Mascha

Anonym hat gesagt…

"Oh wow,cool, das war ja ein krasses Konzert!" kräht Pelle noch ganz aufgeregt vor dem Bildschirm.
Und Mini saust gleich zum Schrank und holt seine Gitarre. So gut möchte er auch mal spielen können, wenn er gross ist.
Die Mäuse hingegen machen grosse Augen: "Boah sooooo viele Fans!"
"In der ersten Reihe fliegen einem bestimmt die Ohren weg", kichert Klein-Ida
Und so geht es noch eine ganze Weile vor dem Bildschirm.
Eines ist jetzt jedenfalls sicher: Wenn Corona vorbei ist, wollen die Kuschelbären so was auch mal live sehen!

Viele Grüsse
Von den Kuschelbären

angelface hat gesagt…

welch eine rauschende Ballnacht möchte man da rufen..
ich möcht ja nicht mit dabeigewesen sein als du diesen Post erstelltest,
g r a n d i o s dieses Lichtermeer, diese gesänge, man vermeint sie fast zu hören..
tolle Szenerien, viel Situationskomik
ich lasse mich in diese entzückenden Bilder hineinfallen und versteh kaum warum noch kein Kommentar von mir - hier - druntersteht..
war ich schon beim ersten Lesen und Betrachten soo fasziniert..?
sorry...fürs Versäumnis wenn es so war,,,
eine tolle Geschichte...und Wahnsinnsbildergeschichte,,,,
vie viel Arbeit, schweiß Blut und Tränen ganz sicherlich...
danke
herzlichst angelface

Susibaer hat gesagt…

Bei Euch ist ja echt was los! Da haben sicher die Wände gewackelt.
Gerade in diesen Zeiten zaubern mir Eure Bildergeschichten immer ein Lächeln ins Gesicht.
Macht weiter so!
Liebe Grüße
Susi