Dienstag, 23. Juni 2020

Die Helden von morgen … oder übermorgen



Das ist das Verrückte an der staubtrockenen Prärie. Sie sieht in jeder Richtung gleich aus. Max saugt an der selbstgebauten Tüte in der Hand. Kein Wunder, dass sie hier schon seit Tagen festhängen.

Sie haben erst einmal ein Lager aufgeschlagen. Über dem Feuer kocht der Wasserkessel und in der Pfanne brutzeln die Rühreier. Sie werden morgen oder übermorgen … also … spätestens in ein paar Tagen aufbrechen, bevor die Vorräte aufgebraucht sind. Das ist keine gute Gegend für Gras. "Hier gibt es doch nur Kakteen, Klapperschlangen und Koyoten." Dabei dampft hier jeder von den sechs Drachen gern einen durch. (Und damit ist nicht der kochende Kessel gemeint)

Kurt greift sich seine Gitarre und schwingt sie heftig durch die Luft. Natürlich fehlen die riesigen Türme mit den Verstärkerboxen, die aus dem zarten metallischen Plickern einen satten Jaulsound machen, der alle, die vor dem 'Wall of Sound' stehen, davon bläst. Oh, Yeah! Diese Drachen sind eine echte Rockband auf dem unaufhaltsamen Weg zum Ruhm. Deshalb haben sie die Roadies mit den Verstärkertürmen schon mal mit dem Laster voraus geschickt.

Es ist der Sommer von 1969 und in wenigen Wochen wird jeder in den Staaten ihren Namen ehrfürchtig flüstern: 'Painful Plaid'! Denn sie sind der Hidden Headliner auf diesem Monsterfestival an der Ostküste – Mudrock … oder so ähnlich. Sie müssen nur noch ankommen und die Wiese rocken. Der Rest ist dann so einfach, wie süße Flower-Groupie-Käfer einzuwickeln und mit Unmengen von Softeis zu vernaschen.

Max ist erleichtert. Die Tüte für den Abend ist gesichert und dann können sie ja ausknobeln, wer morgen das Steuer übernimmt.

John hat sie hierher gefahren, immer den rosa Wolken am Abend nach. Es war wohl keine gute Idee, dass die Band den Bulli genommen hat und allein losgefahren ist. Denn eigentlich ist die Luft im Wagen schon nach wenigen Minuten zum Schneiden, da wird die spirituelle Aura jedes Verkehrszeichen diskutiert und der Weg zum Kühlschrank ist schon viel zu lang. Kiffen macht John immer so hungrig.

Heute wird der bunte Bus sich keinen Millimeter bewegen … wie auch gestern oder vorgestern. Wahrscheinlich … so ganz genau kann John die letzten Tage nicht mehr auseinanderhalten, wenn sie so wabernd ineinander fließen.

 Dann wird es mal wieder dieses Desperado-Ding, wenn sechs bunte Drachen gemeinsam am Lagerfeuer sitzen, Lieder singen und später Marshmallows am Stab rösten.

Rick greift sich die Akustikgitarre und stimmt ein paar Akkorde an. Es ist bald Lagerfeuerzeit und er wird die Unplugged-Version ihres größten Hits 'Stellar-Gugelhupf-Overdrive' zum Besten geben. In der kürzesten Fassung dauert diese Ode an einen interplanetaren Sonnenflug ohne Raumanzug fast eine halbe Stunde. Aber dafür müsste Bob endlich seinen Hot Dog verputzen und sich einen Blecheimer für das Percussion-Solo greifen.

Nicht nur die Drachen sind hier gestrandet. Zwei Zeitreisende sind froh, endlich eine echte Rockband treffen zu können. Die kleine weiße Maus will selber Rockstar werden, um mit den dicken Tantiemen die Raten für die Finanzierung der Zeitmaschine zahlen zu können. Jetzt sucht sie mal wieder nach ihrem Einstieg ins große Musikbusiness. Dabei muss sie sich den aktuellen Vergangenheiten immer etwas anpassen. So hat sie sich für diesen Auftritt eine platinblonde Warhol-Perücke gegriffen und eine Lennon-Brille auf die Nase gesetzt.

Versunken über seinem Instrument ist Rick gerade im Intro, das schon einige Minuten vor sich hin mäandert … ohne den rechten Groove zu finden. Vielleicht spielt er auch ein ganz anderes Stück, er weiß es nur noch nicht. So bemerkt er auch die beiden Neuankömmlinge nicht, die sich dem Bus nähern.

Die kleine weiße Maus hält sich nicht mit langen Vorstellungen auf. Sie bewundert gleich die goldene Gitarre und fragt Max, wie sie wohl klingt. "Das kommt ganz auf die Verstärkerpower an," knarzt der Drache voller Stolz. "Bei unserem Wums fliegen die Fetzen." Doch was soll er auch mehr dazu sagen. Er ist der Sänger, der Frontposer und der Schwarm der Groupies. Das sind doch wohl Aufgaben genug. Da können sich andere mit dem ganzen Technikzeugs beschäftigen.

"Ihr braucht doch sicher noch eine Leadgitarist*in," lockt ihn die Maus. Nun eigentlich ist die Bühne voll genug, wenn sechs Drachen wild umherspringen und die Sau fliegen lassen. Aber eine mehr oder weniger fällt sicher nicht auf. Super, die Maus hätte nicht gedacht, dass es so einfach werden wird. Das Engagement hat sie sicher. Sie sollte wissen, in den Endsechzigern ist es immer einfach, mit auf die Bühne zu kommen. Aber das heißt noch lange nicht, dass es dafür auch eine Gage gibt.
 
Andere Dinge teilen die Drachen dafür umso leichter: "Wenn ihr keine Tüte wollt, wenigstens eine braune Brause?"

Jack langweilt sich. Eine Cola wäre schon gut. Aber während die weiße Maus noch über die große Amerika-Tournee sprechen will, wartet der Mausejunge auf der Sitzbank. Das kann noch Stunden dauern, da die Drachen scheinbar alle in Zeitlupe denken und reden.

Jack springt auf als er die Zeitungen sieht. "Ach die," antwortet Rod, "die haben wir nur aufgehoben als Anzünder für das Feuer. Die sind nur immer so schnell. Schon aufgebrannt, bevor das Kleinholz Zunder fängt." Vielleicht sollte er sich nicht immer erst über die helle Flamme freuen und das Papier gleich in die Feuerstelle stecken. Doch Jack ist schon weiter, während Rod das Wunder des Feuers noch mit ausladenden, etwas fahrigen Bewegungen erklärt.

"Ihr wollt nach Woodstock!" Jack hat sich immer gewundert wo dieses 'Mudrock' sein soll. Davon hatte er noch nie gehört und dabei hat ihm die kleine Maus die ganze Rockhistorie rauf und runter erzählt, seit sie zusammen auf Zeitreisen sind. "Ja doch," murmelt Barry, "könnte auch sein. Das ist jedenfalls das Ding, das uns unsterblich machen wird." "Wie heißt ihr? Painful Plaid?" Ihr steht ja noch nicht mal auf den Plakaten!" "Yeah! das ist so cool," Barry platzt vor Stolz: "Wir sind der Hidden Headliner. Der ist so geheim, dass man ihn noch nicht einmal ankündigt."

Ihr Agent hat es noch in Frisco den sechs Feuerköpfen genau erklärt. Rod kann sich jedenfalls an ein langes Gespräch in ihrer Küche erinnern, wo dieses Fudblock immer wieder auftauchte und eine Band, die dort spielen sollte. Da konnten doch nur gemeint sein. Also haben sie den Bus genommen, um auf die andere Seite an die Ostküste zu kommen.

Plötzlich wird der Mausejunge ganz aufgeregt: "Ist das eine aktuelle Zeitung?" "Ich weiß nicht," murmelt Rod, "eigentlich ist hier seit Tagen nichts mehr aktuell." "Weißt du denn, was heute für ein Tag ist?" Jack kann es nicht fassen. "Äh, Sonnmontag?" Rod überlegt: "Auf jeden Fall nicht Dienstwoch …"

Dann muss es Jack allen Drachen ganz genau erklären. Diese Zeitung ist erschienen, als das Festival in Woodstock begann. "Oh, my," murmelt Rick, "da stecken sicher auch unsere Roadies in dem Monsterstau." "Steckten," korrigiert ihn der Mausejunge, "Woodstock ist längst Geschichte, das hat doch nur drei Tage gedauert."

Dann kann die kleine weiße Maus auch wieder abrücken. Jack hat nichts dagegen. Hier ist doch jeder zu bekifft, um irgendwo anzukommen. Auf jeden Fall nicht in Woodstock. Die kleine weiße Maus braucht eine andere Supergroup, um dort groß heraus zu kommen. Vielleicht hätten sie doch lieber 'Greatful Dead' suchen sollen, die haben den Auftritt in Woodstock auch stoned gebacken bekommen. Und beim Konzert kommen die auch mit drei Stücken aus, weil die auch nie ein Ende finden. Da muss sie auch nicht so viel üben. Zu viel Detailwissen schadet sicher nur der Karriere.

Die Jungs von Painful Plaid haben noch nicht einmal gemerkt, dass sich die Mäuse wieder verpieselt haben. Sie überlegen, was jetzt zu tun ist. Sollen sie weiterfahren? Bei diesem Riesenstau sind ja vielleicht noch nicht alle Fans wieder weggekommen. Oder umkehren? Wenn keiner weiß, wo dieses verdammte Woodstock überhaupt liegt. "Wollten wir nicht nach Hoodflock?" Sie könnten auch bleiben. Aber dann müsste jemand bald mal eine Tanke oder etwas ähnliches finden, weil die Vorräte langsam in Luft aufgehen.

Eines weiß Max mit Sicherheit. Ihre Zeit wird kommen. So ein Woodstock findet doch in diesen Tagen an jeder Straßenecke statt.


Fotos: W.Hein

Endlich ist Zeit für den Auftritt von Painful Plaid. In den Kommentaren tauchte die leider unterschätzte Supergroup schon vor einem halben Jahr auf. Painful Plaid ist die Rockband der Siebziger, die durch Woodstock unsterblich geworden wäre. Wenn sie rechtzeitig angekommen wären und die Bühne nicht Grateful Dead hätten überlassen müssen. Obwohl, wenn man ihren Agenten noch in diesen ganzen Haschwolken auftreiben könnte, wer weiß, ob es überhaupt eine Buchung gegeben hat. Deshalb mussten für diese Story erst einmal Joints im Drachenmaßstab gebaut werden und Tüten mit Gras. Dazu noch die Vorlagen für Plakate und Zeitungen von 1969 beschafft werden. Danach ist meine Hochachtung für all die wundervollen Macher*innen unserer Ausstattungsorgien noch mal gewachsen. Es war ein ziemliche Fummelarbeit, für die ich mir inzwischen bessere Augen wünsche.


Jack ist froh, dass er endlich Zeit für sein Comicheft findet. Wenn sie in der Vergangenheit unterwegs sind, sollte er es nicht so offen rumliegen lassen. Das gibt immer komische Fragen. Obwohl, bei diesen dauerfliegenden Drachen, die hätten das sicher nur 'ganz schön abgefahren' gefunden.
 
Die kleine weiße Maus übt schon mal die richtigen Posen und Gesten. Sie wird ein Rockstar, daran besteht kein Zweifel. Nur sollte sie aufpassen und nicht zu viel Zeit an die Verlierer verschwenden. Wer kennt heute noch Painful Plaid, deren größter Beinaherfolg 'Fuck Woodstock' werden sollte?

 

6 Kommentare:

Centi hat gesagt…

Verharmlosen eure Drachen da etwa den Missbrauch von Betäubungsmitteln?! Ich bin entsetzt! ;-)
Neine, das ist wieder wunderschön und unwahrscheinlich aufwändig gemacht. Die kleinen Zeitungen sind so nett. Auch die Feuerstelle mit dem, äh ja, dampfenden Kessel finde ich prima!
LG
Centi

Claudia hat gesagt…

Guten Morgen ihr Lieben,
wie schö, wieder was von Euch zu lesen und zu sehen!
Das ist eine supercoole Story und ich wär gern bei diesem Festival dabei gewesen *lach*
Ich hoffe, es geht Euch gut und wünsche Euch einen schönen und freundlichen Wochenteiler!
♥️ Allerliebste Grüße, Claudia ♥️

kleine-creative-Welt hat gesagt…

Wow - das ist ja eine Story, die es in sich hat - meine Zeit!!! -
6 Drachen auf dem Weg zum Erfolg - Max der Sänger - ich hör schon die Teenis schreien - aber auch Barry, Bob, Rod, John und Rick werden Groopies abbekommen - ja das Kiffen gehörte wohl 1969 dazu -
Painful Plaid mit Stellar-Guglhupf-Overdrive - irre - vor allem ein Sonnenflug ohne Raumanzug -
und dann landen sie mit ihrem supertollen Bulli in der Prärie -
Jack die weiße Maus mit Andy Warhol-Perücke und John Lennon Brille - ich werd verrückt - als Gitarrist auf jeden Fall ein Hingucker -
Woodstock - wow - da wird heute noch von geredet - eine verrückte Zeit -
super sind die Plakate und Zeitungen - wunderbarer Post -

liebe Grüße - bleibt gesund - Ruth

heinwerken hat gesagt…

@ Centi,
natürlich verharmlosen die Drachen nicht den Gebrauch von Rauschmitteln! Schließlich vernebelt der ganze Dope ihnen so sehr die Sinne, dass die ganze Karriere dabei in Rauch aufgeht. Und wenn man die Auftritte bei Woodstock mal durchgeht, waren auch dort auf der Bühne die meisten Musiker wohl auf einer Wolken und hatten Mühe sich auf der Bühne zurecht zu finden. With a little help of my friends. Aber was mich wirklich überrascht hat, dass DU sofort nach so einer langen Pause wieder da bist. Danke!

@ Claudia,
nicht nur du wärst bei Woodstock gern dabei gewesen, Painful Plaid wohl auch. Aber für die Story ist die Wüste doch noch übersichtlicher, als eine Kulisse mit tausenden Fans in Schlamm und Dreck plus eine Bühne voller Superstars. Bis jetzt bin ich froh, dass die Maus mit ihren Zeitreisen immer haarschraf daneben liegt ;-) Das liegt natürlich nur daran, dass nach einem Besuch in Bad Nauheim sie nicht mehr Elvis gefunden haben, sondern nur seine letzte Cola, die er zurückgelassen haben. Und diese Col ist leider beim nächsten Start in die Steuerung der Zeitmaschine gelaufen, so dass die Sprünge seither leider etwas unplanbar geworden sind.

@ Ruth,
Deine Zeit? Gibt es da ein paar dunkle oder farbige Flecken? Oder geht es Dir wie den meisten, die voller Bewunderung und Aufregung wie in ein Schaufenster in die wilde Zeit der anderen gucken. In meiner ersten Musikzeitschrift wurde über wilde Parties der Stones über den Wolken berichtet. Mit Kiffen, Groupies und was ich mir aus den dürren Worten alles ausmalen konnte. Bilder gab es natürlich nicht, dafür aber eine pupertäre Phantasie was denn eine Orgie im Flugzeug bedeuten könnte. Dabei hat Mick Jagger wahrscheinlich die ganze Zeit brav in irgendwelchen Verträgen und Kontoauszügen geblättert ;-)

Allen zusammen ein gute Zeit und natürlich – Bleibt gesund!

Anonym hat gesagt…

Wow, jetzt bin ich nach dem Lesen ganz high, auch ohne Gras ;-) von den vielen bunten Bildern und den herrlichen Texten über unvergessliche Festivals, bekiffte Rockstars, Roadies und Groupies, wilde Akkorde und jede Menge "Tüten" mitten in der Steppe im Irgendwo. Die bunten Rockhelden, dazu zwei zeitreisende Mäuse, der Stoff ist wirklich gut ;-)
Und auch wenn das Futter fürs Lagerfeuer knapp wird, da liegen genug Drogentütchen mit Nachschub rum. Aber wie kommen die Helden an so einen traumhaft lackierten Bulli, an ein Woodstockposter, an eine Zeitung aus dieser Zeit und an diese illegalen Sustanzen ?

DANKE für dieses neue Abenteuer und den Post auch auf dem Blog ! Liebe Grüße, Manu ... ich muss jetzt weiterlesen :-)

heinwerken hat gesagt…

@ Manu,
Der traumhaft lackierte Bulli stand hier schon länger in der Garage, denn die Planung für die große Zeitreise der kleinen weißen Maus startete mit der Ausstattung des Diners im Mittleren Westen und mit der Einführung der Zeitmaschine in 'Fluxuslärm'. Seitdem ist klar, dass die naseweise Gernegroß durch die Musikgeschichte sausen will. Und da gehörte Woodstock immer dazu. Wie zur Geschichte auch Elvis, die Beatles, die Area 51B und ein Hollywoodproduzent in den 80ern, der händeringend eine Filmidee sucht und plötzlich Zeitreisen im Auto als den nächsten neuen Hit entdeckt. Er hat da noch ein Script von zwei jungen Autoren in der Schublade vom Nachttisch, bei dem ein Junge immer in den Kühlschrank steigt, um dem Date mit seiner Mutter entkommen zu können …
Nachdem Silke mich auf die Idee gebracht hat, wie toll die Drachen als Rockstars rüberkommen, wurde kurzerhand die Besetzung von Painful Plaid ausgetauscht. Und einfach mal die Wüste aufgebaut, damit nicht alles in den Kartons verstaubt, bis es vielleicht einen großen Wurf geben kann. So sammeln sich die Bausteine der großen Geschichte nun eben etappenweise zum Schnuppern. Dabei werden auch hier mal die Requisiten für den Musikladen der Swinging Sixties in London gelüftet. Die vielen Gitarren und ein Großteil der Ausstattung in der Musiker-Wohnung von 'Star' sollten dort verwendet werden. Na einen Teil der Platten in seiner Wohnung sollten die sehr bekannt vorkommen ;-) Hast Du doch dafür gesorgt, dass nicht nur Beatles in dem Plattenschrank stehen. Deshalb nicht alles müssen wir einkaufen. Die Joints und Haschtüten sind selbst gebastelt. Und die Plakate und Zeitungen findet am zum Glück im Internet. Und so lange es kein Geschäft ist …
Außerdem habe ich bislang für die Ausstattung von Puppenstuben schon vieles gefunden, eine Vorlage für den gepflegten Drogenmissbrauch war noch nicht dabei.
Aber nun habe ich schon in den nächsten Post vorgegriffen und folge Dir dorthin mit dem nächsten Kommentar.
Auch Dir ein dickes DANKE!

Liebe Grüße Wolfgang