Montag, 24. Dezember 2018

Bei allen Polen



Es ist die Nacht vor Heiligabend. Jack kann noch nicht schlafen. Es ist alles viel zu aufregend für das kleine Mauseherz. Morgen ist Bescherung – die einzig gute Bescherung im Jahr. Und er fragt sich, ob das mit dem Wunschzettel pfunsioniert hat. Kommen alle Geschenke? Sind sie schon unterwegs? Wie bekommt der Weihnachtsmann auch die sperrigen Sachen durch den Kamin? Bestimmt ist an seiner Werkstatt am Nordpol noch Hochbetrieb. Gern wäre Jack da jetzt Mäuschen.
  
Wie es am Nordpol zugeht, kann sich ein kleiner Mausebengel wohl kaum vorstellen. Nun, der Roboter, der zum Schneeschippen angeschafft worden ist, würde Jack sicher nicht überraschen. Schließlich müssen die ganzen Verkehrswege eisfrei gehalten werden. Vielleicht hätte der Weihnachtsmann seine Werkstatt lieber in der Südsee oder wenigstens auf den Azoren eröffnen sollen, die etwas verkehrsgünsiger liegen.

Der Botz kann es nicht fassen. Diese Erdlinge haben doch keine Ahnung von ehrlicher Maschinenarbeit. Sie geben ihm eine Schneeschaufel in Mausegröße. Da kann er ja gleich einen Teelöffel nehmen. Er schnauft heftig und macht kleine Feinstaubwolken des Protests mit seinem Dieselmotor. So kann er doch nicht arbeiten!

Drinnen werden die Bestellungen im 'Fulfilment Center of Successful Sending' bearbeitet. Der 'Chief Inspector of Customer Happiness' beugt sich über den Ordner mit Reklamationen. Diese Hochglanzpapiere der diesjährigen 'High Attention'-Geschenke sind so flutschig, dass viele Geschenke entweder unsauber verpackt aus den Wickelautomaten kommen oder den Boten bei der Übergabe einfach aus der Hand rutschen.

Am nächsten Tisch werden legt der 'First Contact Officer for Grumpily Customer Calls' endlich den Hörer wieder auf die Gabel. Auch hier sind die Flutschpakete ein Thema. Dazu kommen noch die ganzen Anrufe wegen fehlender Sendungen so kurz vor der Familienübergabe. Wenn jetzt nicht bald was käme, sehe der Tannenbaumständer verdammt nackt aus. Da hilft es auch nicht, dass der freundliche Mitarbeiter immer wieder darauf hinweist, dass die 'Customer First Desk Hotline' leider ein kostenpflichtiges Ferngespräch zum Nordpol ist.

Der 'Department Head Operator of Better Customer Experience' ist zufrieden. Dieses Jahr läuft bis jetzt viel reibungsloser als die vorangegangenen. Das liegt sicher an dem neuen "Supervising Program for Increasing New Transparency', kurz SPRINT, das alle Abläufe beschleunigt hat, indem viele Zwischenfrager und Bedenkenträger einfach entschlackt worden sind. Und die Kundenrückfragen wurden in einer einzigen Warteschleife zentralisiert. Dafür kann man im Internet schon vorab die Antworten für die häufigsten Fragen bekommen, damit die Nummer der Hotline nicht mehr so oft eingeblendet werden muss. Eigentlich gar nicht, wenn es nach dem DHOoBCE geht.

Die Weihnachtslogistik von heute hat nichts mehr mit einer verschnarchten Wichtelwerkstatt zu tun. Heute ist man ohne Fachchinesisch vollkommen aufgeschmissen. Vielleicht ist das auch der Grund, dass hier nur noch Drachen arbeiten.

Der Chief Inspector verstaut seine letzten geschriebenen Reporte im Schreibtisch. Das hat bald ein Ende. Er freut sich schon auf die Einführung von SAP, dem 'Safe Arrival Program' für die Geschenke, das den Klimawandel berücksichtigen soll. Eine weiße Weihnacht steckt wohl noch in vielen Köpfen. Für seine Lieferungen sind eisfreie Straßen und trockene Wege dagegen eine Riesenerleichterung. Und mit SAP wird jetzt mit dem ganzen Unsinn von Schlechtwettergeld, Schneeketten und Winterzulage bei den Geschenkeboten aufgeräumt. Dafür gibt es vielleicht eine Sonnenbrille und ein neues Cap mit erhabenem X-MAS-Logo für den Außendienst.

Die Drachenbrut hat heute noch schneefrei. Sie steckt in riesigen Schneebällen und tobt über das Außengelände. Hier am Nordpol wundern sie sich immer, wozu überhaupt Hawaihemden und Surfbretter zu Weihnachten verschickt werden müssen. Da wären eine warme Mütze, ein Eiskratzer und ein Schlittenhund viel nützlicher.

Im Besprechungsraum erklärt der 'President of Strategic Excessive Growth' gerade die Zukunft von Weihnachten. Für ihn ist das laufende Fest längst Geschichte. Hier wird über den 'Big Gift Transfer Event 2019' verhandelt, wenn es nicht eigentlich schon längst zu spät ist.

Aus aller Welt nehmen die Weihnachtsmänner, Nikoläuse, Knecht Ruprechte und Gevatter Frost in seinem Sessel Platz, um zu erfahren, wie sie sich künftig neu ausrichten müssen. Als Gesicht der Weihnacht haben sie genug mit der Repräsentation zu tun. Da sollen sich Fachleute um die ganze Ausstattung und Präsentefragen kümmern. Das tun die Drachen gern, wenn man in ihrem 'X-mas Supervising Consulting Council' auf die Empfehlungen des Managements aufmerksam hört.

Im nächsten Jahr werden zum Beispiel die Geschenke wieder viel mehr 'trustable vintage'. Diese glitschigen Glanzpapiere sind so etwas von 2018. Die haben die Drachen gleich vom Tisch gefegt, bevor sie die neue Linie von individuellen Motiven aus dem Hochleistungsdrucker auf den Tisch gelegt haben. "Sie sind ein blauer Weihnachtsmann? Kein Problem, ein Knopfdruck und es ist ihr 'Personal-X-Mas-Style' in Blau!"

Noch beeindruckender ist der Glitzerstern, den jetzt der 'Head of Holy Shit Development' vorstellt. Seine Designer haben ultimative Größe mit einem günstigen Transportgewicht kombiniert. Und wo die Sperrgut-Tarife zu hoch werden, kann der Stern fast vor jeder Haustür aus jedem 3D-Drucker gezogen werden.

Wenn der blaue Santa noch etwas Zeit braucht, die Vorteile zu erkennen, ist Zeit für eine Runde Glühwein. Ganz traditionell aus dem Porzellantopf. Die Infrarotheizung ist unsichtbar verbaut, arbeitet demnächst mit einer Brennstoffzelle und gesteuert wird das Ganze über die Hohoho-App oder ganz kundenfreundlich zentral von hier am Nordpol. An der Gesichtserkennung mit der Minikamera im i-Punkt wird noch gearbeitet. Dann kann der Chef genau festlegen, wieviel Glühwein seine Mitarbeiter trinken sollten und jeder Gastgeber hat genaue Infos über die Vorlieben seiner Gäste. Da kann der Bedarf doch viel besser geplant werden.

 Der Mause-Elf hatte schon vorher geahnt, dass es eine anstrengende Sitzung werden würde. Hoffentlich lässt sich sein Chef nicht jede neumodische Idee der freundlichen Drachen aufschwatzen.

Denn bei allen vollmundigen Versprechungen – hier wird auch ganz traditionell bei hundertprozentiger Erfolgsgarantie mit hochprozentigen Argumenten gearbeitet.

Draußen machen sich die 'Facility Manager' des Schneeräum-Dienstes bereit. Mögen sie drinnen schon längst mit dem Klimawandel planen. Noch müssen die Wege ganz analog geräumt werden.

Doch dies alles kann sich sicher ein aufgeregter kleiner Mausejunge in seinem heimischen Sessel kaum vorstellen.


Fotos: W.Hein
X-Mas-Charts: Shutterstock

Es gab hier schon einige Theorien, wie die Weihnachtslogistik am Nordpol aussieht. Dieser Einzug der Moderne fing mit der Frage an: "Findest du nicht, dass wir inzwischen zu viele Drachen haben?"


6 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Oh, wie schön, noch eine aufregende tolle Geschichte vor dem Fest!
Herzlichen Dank ihr beiden!
🎄Ich wünsche Euch und Deinen Lieben auch ein frohes, besinnliches und wunderschönes Weihnachtsfest !🎄✨
♥ Allerliebste Grüße, Claudia ♥🎄✨

Traudi Gartendrossel hat gesagt…

Lieber Wolfgang, liebe Silke,
was ist das für eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte und ich bin ganz berührt davon ;-))))
Ein herzliches Danke für Eure lieben Zeilen und den wieder mal gelungenen Teddy-Kalender, sooooooo schööööön. Er steht, wie alle anderen auch, neben der Tastatur vor dem PC, ich freue mich sehr, dass Ihr an mich gedacht habt, wünsche Euch ein wundervolles Weihnachtsfest mit schönen Momenten. Kommt gut ins Neue Jahr und bleibt gesund, fröhlich und zufrieden.

Alles Liebe für Euch
von Traudi.♥ aus dem Drosselgarten♥

kleine-creative-Welt hat gesagt…

Hallo Ihr Lieben -
wie immer bin ich fasziniert von der Ausstattung - wow - das kleine Lebkuchenhaus hat mich daran erinnert, dass ich so was auch mal machen wollte -
die Maus ist so süß in ihrem hellblauen Kleid und der Schleife - ja der Jack hat echte Sorgen - manchmal wünschte ich auch, ich könnte Mäuschen spielen.... aber vielleicht würde man so einiges erfahren, was man gar nicht hören wollte -
einen Roboter zur Schneeräumung - nicht schlecht - aber er hat so gar keine Geduld mit dem kleinen Mäusejungen, der halt mit seiner kleinen Schaufel hilft -
ein Wickelautomat für Geschenke? na ja Glanzpapier ist nun mal rutschig - was eine Menge Geschenke dort liegen - ob das mit der Warteschleife...Zwischenfragen und Bedenkenträger Entschlackung nicht Ärger gibt - ja ohne Internet geht fast nichts mehr - dabei liebe ich diese Wichtelwerkstätten -
ein Glück, dass das Wetter noch nicht beeinflussbar ist - aber mit SAP... wow -
auf dem Tisch neben dem Adventskranz sind eine Menge harte Getränke.... hm -
ja von 3-D-Druckern hört man - da schwirrt mir der Kopf: hohoho App, Gesichtserkennung -
der kleine Mauseelf ist entzückend -
ich muss schon sagen, eine Superausstattung - das tolle neue Räumfahrzeug lässt keine Wünsche offen -
eine sehr fantasievolle spannende Geschichte - reich bebildert - da steckt eine Menge Arbeit hinter -
lieben Dank für den süßen Kalender -
herzliche Grüße - Ruth

Anonym hat gesagt…

Besser kann man die gegenwärtigen und zukünftigen Weihnachtsvorbereitungen nicht schildern und auch in der "Stillen Heiligen Nacht" ist es schön, beim Lesen herzhaft loszulachen ;-) Bei all dieser Action wäre allerdings ein großer moderner Haitec - Glühweinautomat mit Tatschscreen für unterschiedliche Geschmacksrichtungen eher angebracht, da wäre das mit der Gesichtserkennung dann auch einfacher ;-)) Danke für die neue Geschichte und hoffentlich kuschelige Tage zwischen den Jahren, viele liebe Grüße, Manu

heinwerken hat gesagt…

@ Claudia,
vielen Dank, das Weihnachtsfest war hübsch langweilig. Die Polstation musste leider schnell schließen. Unsere drei Katzenmädchen sind noch solche Wildfänge, dass kleine Welten schnell umdekoriert oder gar angeknabbert werden. Und schließlich wollten wir mit unseren grauen Mädels nicht in der Notaufnahme enden.

@ Traudi Gartendrossel,
schön Dich mal wieder hier vorbeifliegen zu sehen. Noch schöner, dass der Kalender gut angekommen ist und schon einen Stammplatz hat.

@ Ruth,
die Moderne kann ganz schön herausfordernd sein. Die Drachen legen mit Feuereifer los und bei aller großzügiger Ausstattung –nicht alles hätte man sich freiwillig ausgesucht. Da sind die weihnachtlichen Stuben mit Lebkuchenhäusern und so einigen anderen leckeren Details wirklich ein Rückzugsort für die Seele. Auch wenn es in den vergangenen Jahren dort auch einigen Trubel mit Jack und der Weihnachtsbäckerei gegeben hat. Wer das Label 'Weihnachten' anklickt, hat hier eine große Auswahl für die Festtage.

@ Manu,
die Entwicklung des perfekten Glühwein-Automaten ist da sicher noch nicht abgeschlossen. Wie gut, dass er schon sein Form "gefunden" hat. Uns ist aufgefallen, dass die Drachen noch Entwicklungspotenzial haben. Es ist doch kurios, dass im Hai-Tek-Büro noch Schnurtelefone, Aktenordner und Schreibmaschinen stehen. Die Einführung von SAP schreit doch nach dem nächsten Technologieschub… Tabletts, Komputersörwer, Datenklaut, Drohnenschwärme und Lufttaxis mit G5-Netz doch an jeder Milchkanne. Wir werden uns überraschen ;-)

LG Wolfgang

heinwerken hat gesagt…

@ Manu Nachtrag
es ist natürlich 5G an der Milchkanne – in 5 Jahren wohl via Satellit, weil das Verbuddeln von Glasfasern nicht klappt, das Funk-Masten-Aufstellen an den Protesten der besorgten Dorfgemeinschaften scheitert (wegen der Strahlung und tieffliegender Vögel) und die Kommunikationsanbieter mit den Netzlizenzen immer noch rechnen, ob die Milchkannen sich das überhaupt leisten können.

LG Wolfgang