Montag, 1. Oktober 2018

Schwanensee



 Stahl kreischt und scharrt bei jeder Bewegung, die Hydraulik schnauft und Elektromotoren summen, wenn die Metallpranken die beiden Nager fest umschließen. Die kleine weiße Maus muss schreien, um über diesem arbeitsamen Getöse ein Gespräch in Gang zu halten: "Und Jack, was hast du so im Urlaub gemacht?"

"Zwei Wochen Schwanehüppeln mit und ohne Wasser…" Der kleine Matrose ist mit Victoria und Albert mit dem Auto in die Sommerfrische gefahren und die haben sie an einem See mit einem mechanischen Reitschwan gefunden. Jack hat sich sein ganzes Taschengeld in kleinen Münzen geben lassen, die dann nacheinander alle im Geldschlitz des Wackelautomaten verschwinden.

Der See wird privat vom roten Bären betrieben. Er hat sein Geschäft auf drei Säulen gestellt: Bootsverleih, frischen Fisch und alte Bücher.

Genni hat sich einen modernen Einrichtungsführer von 1962 geben lassen, den sie aufgeregt durchblättert. Leider waren damals Farbbilder noch zu teuer und die Innenseiten sind alle im puren Schwarzweiß. Das ist nicht das Richtige für eine 'think pink'-Freundin. Sie will sich all die Bonbonfarben nicht nur vorstellen müssen. Da gibt sie das unbunte Heft lieber zurück. Sie muss nur aufpassen, dass es dabei nicht in die Aalkiste fällt.

Swim hat noch an einen Luftballon ergattert und Apfelschorle für ihre Mausekanne. Es gibt doch noch mehr an der Bude als glitschigen Fisch und angelesene Schwarten. Jetzt muss sie aber feststellen, Bootsverleih heißt nicht Schwimmsteg. Das Einzige, was hier auf dem Tümpel schwimmt, sind Boote zum Treten und Paddeln.

Der rote Bär kennt das. Mit den kleinen Nagern ist nur schwer ein Geschäft zu machen. Sie wollen immer knallige Comics mit Pferdeschwänzen und Superhelden, bunte Bilderstrecken mit Käse-Selfies, Wassereis, Lutscher, Schoko-Riegel oder saure Gummimonster. Niemand weiß noch einen ehrlichen, sauren Hering zu schätzen. Wer packt sich noch einen Aal in Gelee? So drehen die meisten Besucher enttäuscht ab. Es würde auch nicht helfen, wenn er den Eimer mit Fischabfällen nach hinten trägt.

Genni hat inzwischen etwas entdeckt, das ihr viel mehr Spaß machen würde.

Doch leider ist der Schaukelschwan für Umme schon besetzt. Und Lilli macht nicht den EIndruck, dass sie schnell fertig wird.

Auf dem Steg fragen sich zwei Mausejungen, ob man die großen Plastikschwäne immer treten muss oder ob maus sie auch schon via App steuern kann.

Victoria hat Albert endlich zu einem Bootsausflug überreden können. Sie haben das Boot doch nicht die ganze Zeit auf dem Dach spazieren gefahren, damit es windschnittiger aussieht, wenn sie über die Autobahn hetzen.

Jetzt hetzen sie über das Wasser, denn Victoria sticht mit dem Paddel schon eifrig in den See, als Albert noch überlegt, wie dieses Ablegen eigentlich gehen soll? Und gehören dann beide Paddel auf dieselbe Seite?

Auch die Jungen begeben sich auf den See. Sie rauschen mit voller Kraft durch die Wellen. Ganz analog. Digital sind nur die Fotos aus der bunten Sofortbildkamera, die auf Knopfdruck gleich ins Internet hochgeladen werden. Wenn es hier schon ein echtes Netz gäbe und nicht nur so ein buntes Leinenteil für Glibberfische…

Jack stand etwas lustlos auf dem Steg herum, nachdem der Wackelschwan das ganze Taschengeld gefressen hatte. Da ist er gern auf die nasse Variante umgestiegen. Die wackelt auch – ohne dass er im Minutentakt das Vieh mit Hartgeld füttern muss.

Mit kräftigen Schlägen treibt Victoria Albert zur Eile an. Sie müssen sofort zurück an den Steg. Als sie los gepaddelt sind, haben sie Jack vergessen.

Doch Victoria kann es auch mal ruhiger angehen lassen. Es schippert gerade lässig eine Schwanenfamilie vorbei und mittendrin winkt ihr freudig Jack entgegen. Der kleine Matrose ist doch längst auf großer Fahrt.

Das ist sehr entspannt, sehr gemütlich und sehr sehr … öde. Eine lustige Seefahrt hätte sich Jack aufregender vorgestellt. Mitten auf dem See sieht er ja überall nur grünes Ufer. Wo lauert das Abenteuer? Unter der Wasseroberfläche?

Der Mausjunge steht auf, um besser in die Tiefe gucken zu können. Da ist nichts. Aber wenigstens kippelt und schwankt der Schwan nun ganz ordentlich.

"Das habe ich noch fünf Tage gemacht," erklärt Jack der kleinen Maus. "Dann gab es wieder frisches Taschengeld für den richtigen Wackelschwan …"

"Könntet ihr nicht mal den Rand halten?" stöhnt das böse Blech. "Wie soll ich mich konzentrieren können, wenn die ganz Zeit gesabbelt wird?"

"Ach, meine liebe Blechdose," die kleine weiße Maus möchte nicht unhöflich sein, auch wenn die Lage etwas unbequem ist. "Wie habt ihr denn euren Urlaub verbracht?"


Fotos: W.Hein

"Urlaub? Urlaub?" dröhnt es dumpf aus den Tiefen der Stahltonne. Welcher Roboter macht denn Urlaub? Das Unheil verträgt keinen Aufschub … Während die Böbotze noch an diesen Erdlingen verzweifeln, wundern wir uns immer wieder, was alte Bären für interessante Geschäftsmodelle haben. Kein Making-of aber ein Katzenbesuch am Set findet sich hinter diesem Link.



4 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Danke Euch beiden für diese wieder so schöne Geschichte!
Heute nur ganz kurz, die Zeit ist heute etwas kanpper ....
Habt einen schönen und freundlichen Tag und eine herrliche erste Oktoberwoche!
♥ Allerliebste Grüße,Claudia ♥

Anonym hat gesagt…

Was für eine schlaue Geschäftsidee, neben dem Bootsverleih auch frische Fische und alte Bücher anzubieten ;-) Und der Schwanensee scheint ein echter Geheimtipp für den nächsten Sommerurlaub zu sein :-) Besonders angetan haben es mir der münzfressende Reitschwan und der Schaukelschwan, wobei eine Schwanfahrt auf dem Wasser sicher auch sehr unterhaltsam ist.

Auch von mir Danke für das Lese- und Bildvergnügen : Swim mit pinkem Luftballon und pinker Mausekanne und dazu noch pinke Flipflops ... und Albert mit einer Flasche Rhababawein als Reiseproviant ;-)) Wünsche euch einen schönen Feiertag und einen guten Start in den Oktober, herzliche Grüße, Manu

heinwerken hat gesagt…

@ Claudia,
die Besuche sind kurz – die Wartezeiten lang. Vielen Dank, dass du dir dennoch die Zeit für einen kurzen Gruß nimmst. Die herrliche Oktoberwoche nehmen wir gern und ich hoffe, dass wir uns in der nächsten Woche wiedersehen.

@ Manu
Schlaue Idee hin oder her, der Geschäftssinn von älteren Bären wird schon auf eine harte Probe gestellt, um immer Upp-tu-Deit zu bleiben. Wahrscheinlich sollte er Wätschibörger, Zälfieschticks, Iiihbeiketuuren, Jutjubber-Stah-Daunlohts, Drohnenzeitsiehing und anderes neumodisches Zeug anbieten. So ist er froh, dass die Bilder hier so richtig knallig nach Postkarte aussehen. Denn in Postkarten wollen die Leute doch Urlaub machen. Sonst würden sie ja keine verschicken, um die anderen neidisch zu machen. Nur, dass sie ihre Angeberbilder inzwischen selber schießen, um sie sofort an alle Digitalfreunde hochzuladen. Und dann brauchen sie doch wieder diese Zälfieschticks …

LG Wolfgang

Anonym hat gesagt…

Laik und naiss, vor allem die Postkartenbilder ;-) mätscht bei euch ... und ja, das mit dem Upp-tu-Deit bleiben wird immer mehr zur harten Probe für alte Bären ... Danke für Antwort ;-)) Hoffe, es geht euch gut und wünsch euch ein möglichst erholsames Wochenende , liebe Grüße, Manu