Dienstag, 31. Juli 2018

Die Aussprache


Die Schüler müssen draußen warten, wenn drinnen die Meister verhandeln. Der Kohei hatte sich schon gewundert, warum sein  Sensei nach Tagen der Untätigkeit plötzlich aufgesprungen ist und mit federnden Gang durch die engen Gassen zu diesem Haus gelaufen ist. Unterwegs hat er nur diese Kiste Äpfel gekauft, die sein Schüler ächzend bis zur Veranda tragen durfte. Dort hat sein Meister schnell zwei Stück Obst genommen und ist mit ihnen hinter der Schiebetür verschwunden. Wenig später wird der hiesige Schüler rausgeschickt und gesellte sich zum wartenden Kohei. Aufgeregt tuscheln nun beide, was hier wohl hinter verschlossenen Türen geschieht.

Drinnen hat sich der alte Sensei im abgetragenen Kimono knapp – aber nicht unhöflich – verneigt und beide Äpfel auf den Tisch gestellt, bevor er die Beine untergeschlagen und sich dabei auf das Kissen gesetzt hat.

Der Affe nickt nur und verliert kein Wort darüber, dass er offensichtlich Besuch erwartet hat. Nach einer Weile grunzt er tiefgründig,  dass auf der Gegenseite mit einem dunklen Knurren beantwortet wird. Nach der Begrüßung warten beide, dass der andere den Gesprächsfaden aufnimmt.

Endlich nimmt der alte Japanwolf seinen Apfel und beißt herzhaft rein.

Das ist das Zeichen, dass auch der Affe seinen Apfel in die Hand nimmt. Es folgt ein anerkennendes Brummen, während er ihn langsam von allen Seiten betrachtet.

 Schweigend beißen beide abwechselnd in ihre Äpfel, den anderen dabei genau fixierend.

Der alte Meister achtet genau darauf, wie er seine Bisse setzt. Er möchte sich nicht die Blöße geben, zu früh mit einem abgenagten Kerngehäuse auf seinen Gastgeber warten zu müssen.

Schweigend beißen die Meister in die Äpfel … bis beide nur noch die kernige Mitte stehen gelassen haben. Nicht mal einen Blick lassen sie dabei auf die noch dampfende Miso-Suppe, den schon wieder erkaltenden grünen Tee oder die Sushiplatten auf der Anrichte schweifen. Die Augen sind fest auf das Gegenüber gerichtet oder auf den Apfel in der eigenen Hand.

Ein letzter Blick, ein schneller Vergleich im Augenwinkel. Das Apfelessen endet mit einem Gleichstand, bei dem jeder sein Gesicht wahren konnte.

Wieder eine knappe Verbeugung, ein tiefes Knurren der Befriedigung, dass mit einem leichten Schnalzen beantwortet wird. Die Mission ist erfüllt, der Sensei kann wieder aufbrechen.

"Komm Kohei, wir können gehen," der Sensei winkt seinem Schüler zu, als er wieder aufbrechen will. "Der Affe hat verstanden." Unschlüssig blickt der Schüler zur Apfelkiste. Darf er sich da einen nehmen, wenn er schon alle hierher schleppen musste? "Natürlich, ich brauchte nur die zwei."

Fotos: W.Hein

Der Sensei ist Honshu, ein Japanwolf von Victoria Kukalo. Er musste endlich mit dem hochwohlgeborenen Affen von Eleonore Unkel-Schäufelin sich aussprechen, wieso er die Übungshalle für den Fechtsport so plötzlich ausleihen musste, obwohl der Affenmeister dort längst eine Buchung hatte, um seinen Schwertkampf zur Vollkommenheit zu führen. Und dann war noch die Kiste Äpfel zerschnitzelt, auf das seine plappernden Langnasen-Schüler gerade Pause auf dem heiligen Boden mit Obstsalat machen. Aber das ist nun geklärt.

Drinnen kann der Schüler endlich abdecken. Nach so schwierigen Verhandlungen mag der Meister auch keine kalte Suppe oder abgestandenen Tee. Zum Glück warten kalte Platten auf einen hungrigen Magen, der sich auch auf eine doppelte Portion freut.

2 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Eine wieder toll gemachte Geschichte, ich bin immer wieder von den ganzen Details begeistert!
Ich wünsche Euch einen schönen Tag, kommt gut durch die Hitze!
♥ Allerliebste Grüße , Claudia ♥

heinwerken hat gesagt…

@ liebe Claudia,
schön, dass Dich die Details begeistern können … denn es wird sicher noch mal nach Japan zum alten Sensei gehen. Die schönen Kulissen können doch nicht ungenutzt bleiben;-) Nach den gefährlichen Übungsstunden mit echten Schwertern, bekommen die eifrigen Mauseschüler beim nächsten Mal lieber Bambusstöcke.

Liebe Grüße zurück und ich wünsche mir schon jetzt eine Eistonne.