Die Blätter hängen auf Halbmast vom zusätzlichen Gewicht der Wassertropfen niedergedrückt. In den Pfützen spiegelt sich der griesgrämiggraue Himmel. Der Regen macht gerade Pause. Der Wind nicht. Immer wieder drücken Böen die schlanken Halme und Gräser nieder. Sie peitschen die Zweige und schütteln die Blätter. Wenn der nächste Windstoß sie erwischt, rauschen die Sträucher entsetzt auf. Der alte Seebär steht auf dem Steg, stemmt sich gegen den Wind und lässt sich das zottelige Fell zerzausen.
Der massige Körper gleicht mit leichtem Wiegen den ständig wechselnden Winddruck aus. Die stämmigen Füße geben Halt. Durch den blauen Friesennerz kommt kein Tropfen. Und der um den Hals geschlungene Schal ist das Beste gegen nasskalte Winde. Der alte Seebär liebt dieses Wetter. Er sagt charakterbildend dazu. Wenn er überhaupt was sagt – denn eigentlich macht er ja nie viele Worte. Auf jeden Fall nicht mehr als nötig. So ein Charakterwetter erinnert ihn an seine Heimat oben an der Küste. Eine steife Brise und ordentlich Wasser von oben, von unten und von der Seite. Das ist das Richtige für Raubeine. Im Sommer, wenn die Sommerfrischler und Landratten ans Meer kommen, ist das ja nur so´ne Art Micky-Maus-Wetter für Süßwassermatrosen.
Wenn der blanke Hans dann sein wahres Gesicht zeigt, hängen die ganzen Urlauber immer über der Reling oder über den kleinen Heringstopfeimern, die der Bär ihnen dann schnell in die zittrigen Hände drückt. Das ist schließlich sein Job. In der Saison heuert er jedes Jahr auf einem kleinen Ausflugsboot an. So eine seetüchtige Nuss-Schale, die Landratten zu den Seehunden bringt. Oder von einer Insel zur nächsten, um dort die selben Auslagen von Friesengeist, Filz-Wattwürmern und Buddelschiffen zu bestaunen. Alles ganz original friesisch „made in China“. Solange die Sonne scheint, ist so eine Seefahrt ja immer lustig und die Gäste können sich als die neuen Herren der See fühlen. Doch bei so einem grauwindigen Wetter wie heute merkt man schon, wer die Küste liebt. Der Rest denkt dann nämlich darüber nach, warum er nicht nach Mallorca geflogen ist.
Immer wenn er ins Binnenland kommt, muss sich der Seebär wieder an den kurzen Blick gewöhnen. Auch wenn nicht überall die Häuser aneinander kleben, gibt es immer noch Wälder, Täler, Niederungen, Hügel, Berge, Höhenzüge und Gebirge. Haufenweise Zeug, das im Weg steht und einem die Sicht nimmt. Zuhause steigt er auf den Deich und der Blick ist weit. Hier im Garten gibt es zwar Wasser, Holzstege, Schilfdickichte und Dünenrosen. Trotzdem kommt ihm alles enger und dunkler vor. Aber wenn er die Augen schließt, trägt ihn die Stimme des Windes nach Hause. Nur ein wenig Brandungsrauschen und das Kreischen der Möwen fehlen.
Er hat schon eine ganze Weile den Fischen im Teich zugesehen. Wie die bunten Dinger immer im Kreis schwimmen. Die haben sicher schon längst einen Drehwurm. Das wäre nichts für ihn. Alles viel zu eng. Der alte Bär lässt die Gedanken fliegen. Da wäre er schon lieber so ein großer Thunfisch im Ozean. Der stolz durch die weite See pflügt. Und in der Dose landet. Das wird dann auch wieder ganz schön eng. Vielleicht ist die ganze Fisch-Idee ja auch Unsinn. Und den Fischen hier macht das viele Rumkreisen überhaupt nichts aus. Fische sind ja eher schlichte Gemüter.
"Schietwetter!" brummt der alte Zausel. Er meint das durchaus anerkennend. "Dat mutt sien!" Aber, wenn er was sagt, gucken ihn hier im Haus alle anderen Bären mit schiefgelegten Köpfen an. Und beginnen dann seine Worte zu übersetzen. Hat lange gedauert, bis die kapiert haben, dass ein gebrummeltes "Moin" für den ganzen Tag passt. Richtig überschwänglich ist schon "Moin, Moin". Und zur Bestätigung, dass alles klar ist, reicht als Antwort ein knappes "Jupp!"
Wenn der alte Seebär etwas redseliger wäre, würde er ja zugeben, dass er früher auch nicht so gesprochen hat. Als junger Bär ist er aus einem kleinen Dorf im Weserbergland abgehauen. Weil dort alles zu eng war. Die weite Welt wollte er sehen, auf großen Pötten fahren. Aber irgendwie ist er dann auf dieser Nuss-Schale an der Küste hängen geblieben. Und hat für die Touristen gelernt, wie ein Küstenbewohner zu schnacken. Damit es echter wirkt und das Trinkgeld stimmt. Die Alteingesessenen gucken trotzdem immer noch komisch, wenn er mit ihnen spricht. Noch ein Grund, nicht zu viel zu sagen.
Das Wetter macht eine kurze Pause. Die grauen Wolken brechen auf und Sonne kommt für einen Moment durch. Das ist eigentlich auch nicht so schlecht. Reingehen und ´nen Grog trinken kann man ja trotzdem. Oder er lässt den Tee gleich weg. Wärmt dann trotzdem von innen. Im Haus haben sie sicher schon alles hingestellt. Diese Landbären sind ja eigentlich ganz nett. Als er auf der Durchreise hier einen Zwischenstopp eingelegt hat, haben sie ihn sofort eingeladen, doch länger zu bleiben. Das macht er auch. "Jupp!"
Den alten Seebären hat Ulrike Amadori geschaffen. Und immerhin ist sein Fell schon weitgereist. Ein Sonderposten, der sich aus Südafrika nach Deutschland verirrt hatte. Es war damals noch genau der Rest, den sie benötigte, diesen einmaligen Bären zu machen. Daher hat der Zausel auch seinen Namen: OhRest! Beim alljährlichen Bärenhöhlen-Geburtstag in Hannover war es eine Liebe auf den ersten Blick. Und einen Bären mit Geschichte nimmt man noch viel lieber mit nach Hause. Wer jetzt andere Bären von Frau Amadori sehen möchte, muss im Internet lange suchen. Wir haben lediglich auf der Seite der Bärenhöhle in Hannover mehrere Amadori-Bären gefunden. Die sind aber leider nur als Bastelpackungen erhältlich. Unser Favorit ist der Bär mit der Katze.
Fotos: W.Hein
2 Kommentare:
Die Geschichte eures blanken Hans hat mich ein bisschen traurig gestimmt - irgendwie macht er einen brummigen und einsamen Eindruck. Ich hoffe, dass der längere Landaufenthalt mit den anderen Bären ihn etwas fröhlicher macht!
Danke für euren Kommentar bezüglich des "Thinking Blogger Awards". Ich habe auch noch keine ähnliche Seite entdeckt, wo Stofftiere die Welt erklären. Aber dafür ist meine Freundin gerade dabei, angelehnt an euren Blog, etwas Ähnliches zu machen. Schaut mal rein unter "Manu´s Schafe Gartenwelt" (ist auf meiner Seite bereits ein Link eingerichtet), vielleicht gefällt er euch ja!?
Viele liebe Grüße, Verena
Lieber blanker Hans,
ich kann dich soo gut verstehen denn ich bin bereits 2 mal durch die Drake Passage gefahren - das verbindet.
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