Samstag, 18. November 2017

Das böse Blech

Es bleibt unheimlich. Die Mäuse fühlen sich immer etwas unwohl, wenn kalte Maschinenaugen sie fixieren. Selbst wenn der Riesentrum sich nicht bewegt und ihnen nur die rot leuchtende Optik sirrend folgt. So ganz geheuer sind ihnen diese Roboter nicht, die plötzlich immer häufiger auftauchen.

 

  Die Mäuse haben ja nicht unrecht. Diese zweibeinigen Maschinen sind immer so missvergnügt. Das macht sie so unleidlich für ihre Umgebung. Warum sind die Roboter eigentlich solche dumpfen Spaßbremsen? Was macht sie eigentlich zu Bö-Botz? Gibt es überhaupt böse Elektroden? Da muss Wolfgang wohl noch etwas erklären. Und weil er die passenden Fotos nicht zur Pfote hat, hat er schnell ein paar Zeichnungen gemacht. Also die Roboter sind solche Muffköppe, weil sie wohl so etwas wie gefallene Helden sind, die ihren besseren Tagen nachtrauern. 

Bevor sie zu den Bö-Botz wurden, waren sie glänzende Ritter in strahlenden Rüstungen. Als militärische Geheimnisträger standen sie unangefochten an der Spitze des technologischen Fortschritts. Denn natürlich sind sie für das Militär entwickelt worden. Wer hat sonst Geld ohne Ende, alle Zeit der Welt und kann es sich leisten, unzählige Spezialisten, Techniker und Wissenschaftler in geheimen Labors werkeln zu lassen? Die erste Aufgabe war der Schutz ihrer eigenen Geburtsorte, die ständige Bewachung dieser geheimen Einrichtungen. Denn die lagen schon immer an den unwirtlichsten Ecken der Welt. Mitten in der Wüste oder am Polarkreis. Hauptsache dort, wo niemand freiwillig hin will. Das galt natürlich auch für die menschlichen Soldaten. Und irgendwann mussten die ja wieder zurück zu ihren Familien und wurden gefragt, was sie die letzten Wochen und Monate so getrieben haben. So wurde es immer schwieriger, diese ganzen Geheimnisse auch wirklich geheim zu halten. 


Hier waren Roboter eine geniale Idee. Roboter haben keine Familie und müssen nicht nach einigen Wochen wieder abgelöst werden. Als Wache werden sie nie müde und passen rund um die Uhr auf. In der Nacht sehen ihre Sensoren mit Restlicht-Verstärkern immer noch jede Bewegung. Ihre Mikrofone schlafen nie ein, auch wenn der Dienst 24 Stunden dauert. Außerdem waren sie ja selbst ein so streng geheimes Projekt, das niemand kennen sollte. Wie diese anderen Geheimprojekte von Tarnkappenflugzeugen, schlimmeren Bomben und später die Satellitenabwehr im Weltraum. So schützten sie als Geheimnis die anderen Geheimnisse in den trockensten Wüstenhangars und den kältesten Eislabors. Als Geheimnisträger konnten sie ja nirgendwo anders hin. Alles was je jemand von ihnen gesehen hatte, passte in diese ganze Aufregung seit den 50ern um UFOs und Außerirdische. Sie kamen doch sicher von einem anderen Stern oder alle ungebetenen Beobachter sollten es wenigstens glauben. Denn dann war jeder froh, wenn sie unsichtbar blieben.


Froh wären die beiden Mäuse heute auch, wenn dieser Roboter unsichtbar geblieben wäre. Plötzlich kommt Bewegung in die Arme aus Stahl. Kreischend und ächzend heben sich die Arme, klackend klicken die Metallglieder der Hände. Summend zoomt das Auge, wenn es die Nager fixiert und jede Bewegung der beiden nachführt.

Die Erfinder dieser Maschine haben sich viel Mühe mit dem selbstständigen Denken gegeben. Und offensichtlich kein besseres Vorbild gekannt als den eigenen Geist. Sie haben dabei in Kauf genommen, dass die Maschinen dabei auch eigene Gefühle mitbekommen. Denn warum sollte sich sonst ein Roboter am Kopf kratzen, wenn er für sich noch keine eindeutige Handlungsanweisung gefunden hat? So lange kratzen, bis der Flugrost von der angegriffenen Kopfschale rieselt.


Das selbstständige Denken war eines der größten Erfindungen für die Maschinen. Dabei waren am Anfang die Aufgaben auch noch viel übersichtlicher. Doch schon bald wurden ihre Herren immer maßloser in den Wünschen. Konnte man sie nicht in geheime Missionen einbinden? Sollten die Gegner sie nicht fürchten lernen, wenn sie mit kalter Maschinenpräzision und kühl kalkulierend auf die Schlachtfelder künftiger kalter Kriege ziehen würden? Deshalb wurden die Programme immer komplizierter. Die Programme für die Roboterköpfe und die Planungen für immer waghalsigere Aktionen. Dabei gab es schon in den 6oern die ersten Risse in der glänzend schimmernden Fassade des Botz-Programms:

Sie passten einfach nicht mehr zu den modernen schmutzigen Kriegen, die ein selbsternannter Weltpolizist führen wollte. Diese Maschinen waren viel zu groß und schwerfällig für die kleinen schmutzigen Dschungel- und Wüstenkonflikte, in denen scheinbar ungebildete Bauern und Hirten den hochgerüsteten industriellen Militärapparat an seine Grenzen brachte. Die schweren Maschinen tappten oberhalb des im Dschungel aufsteigenden schwülen Nebels über den Ho-Chi-Min-Pfad. Oder verirrten sich in den Sandstürmen der iranischen Wüste. Sie konnten immer noch massive Schäden anrichten und sinnlos wüten und zerstören. Aber wie jede große Maschine nur mit groben Rastern und oft bar jeder Vernunft. Für einen "guten" Frieden waren sie damit denkbar ungeeignet.

Die letzten großen Heldentaten der Roboter begannen, als die Amerikaner feststellten, dass die ganze Mondmission nicht funktionieren würde. Weil zwischen der Erde und dem Mond der für die damalige Technik unüberwindbare Van-Allen-Gürtel mit seiner für die Astronauten tödlichen Strahlung liegt. So wurde alles am Boden im Studio von einem bekannten Hollywoodregisseur inszeniert. Der große Schritt für die Menschheit hing die ganze Zeit an dünnen Drähten. Und die „Beweise“ für die amerikanischen Mondmissionen wurden später von diesen Robotern auf den Mond gebracht. Deshalb gibt es inzwischen auch die Fahnen und gestrandeten Mondmobile an den richtigen Stellen auf dem Erdtrabanten. Es wurde einfach notwendig, da die Erd-Teleskope immer besser wurden. Das erklärt auch, warum so viele Space-Shuttle-Missionen geheim waren und warum es einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Mondgestein auf der Erde gibt.

Die beiden Mäuse hätten jetzt auch gern so einen Mondstein oder besser ein ganzes Mondgebirge, das zwischen ihnen und diesem quietschenden Stahlmonstrum stände. Dann müssten sie es nicht sehen. Und noch besser: dieses fiese rotleuchtende Maschinenauge könnte sie nicht sehen.


Es ist wohl besser, sie verschwinden hier. Noch ist genug Platz, dass sie nicht immer auf diese Stahldinger treffen müssen. Sie können schnell einen anderen Weg wählen. Und wenn sie sich beeilen, sind sie weg, bevor dieses Monster eine Entscheidung gefällt hat. Und vielleicht doch noch gefährlich wird.

Mit dem Ende des kalten Krieges begann der Abstieg für die Roboter. Das Militär legte sie auf Eis und wer Glück hatte, wurde nur entlassen. Wer brauchte in diesen unübersichtlichen Zeiten noch diese teuren Roboterprogramme? Wie sollte man diese Riesen weiter geheim halten, wenn überall – auch aus den gar nicht so rückständigen Gebieten – Handyfilme blitzschnell ins Internet hochgeladen werden? So eine Drohne fliegt viel schneller und ohne großes Aufsehen zu ihrem niederen Zielen. Und inzwischen schickt man lieber nur einen Computervirus, um einen Gegner zu lähmen.

Überhaupt diese alten Elektrogehirne in ihren schwerfälligen Rüstungen. Die künstliche Intelligenz entwickeln sich immer schneller. Und das können diese alten Schaltungen nicht mehr aufholen. Früher hätte ihre Rechenleistung für eine ganze Apollo-Mission gereicht, heute ist jeder Heizungsthermostat klüger. Und dazu laufen die Botz noch mit einem Dieselmotor. Damals schien es der ideale Antrieb zu sein und welches Militär achtet schon auf den Umweltschutz? Aber heute – und nicht erst seit dem Dieselskandal der Autoindustrie – will niemand mehr riesige Dreckschleudern, deren Luftverschmutzung jede Tarnung überflüssig macht. So wurden die Botz längst ausgemustert. Eine Zeitlang hielten sie sich noch bei privaten Sicherheitsfirmen über Wasser. Einige sollen immer noch bei der russischen Mafia durchgreifen. Aber der Abstieg war unaufhaltsam. Viele wurden Reinigungskräfte, also schlechtere Putzroboter in dreckigen Industrieanlagen, dort wo niemand anders noch arbeiten wollte. Oder sie arbeiten in Mülldeponien und im staubigen Tagebau mit all den freifliegenden Schadstoffen und der Gefahr von der nächsten Sprengung begraben zu werden.


Einige Botz wurden sogar an den Küsten im indischen Ozean gesichtet, wo sie den Ärmsten der Armen dabei helfen, die riesigen Seeschiffe mit bloßen Händen abzuwracken. Sie werden mit den Altölresten aus den Schiffswracks „bezahlt“. Das ist für die Reeder eine billige Entsorgung, denn die Botz brauchen jeden Tropfen Energie, selbst wenn es nur die verseuchte Teerpampe ist, die sie aus den alten Tankresten kratzen. Wen kümmert es schon, wenn dort giftige Zusätze mit ihren immer noch ungefilterten Abgasen freigesetzt werden? So schrumpft die Zahl der überlebenden Botz ständig. Die Überlebenden sehen dabei auch immer abgerissener aus. Niemand nimmt sich die Zeit für einen schönen Anstrich. Dazu werden die Gelenke immer träger. Sie verharzen, rosten fest und andere werden dafür immer lockerer mit ausgeschlagenen Lagern. Dabei gibt es für alte Militärtechnik kaum noch Ersatzteile. Und woher sollen sie bei ständig steigenden Energiepreisen den benötigten Diesel bekommen? Ihre Jobs werden immer schlechter bezahlt. Und was wird, wenn der Diesel irgendwann vollkommen geächtet wird?


So ist verständlich, dass die Botz längst zu missmutigen 'Bö-Botz' geworden sind, die verbissen um Energie, Aufgaben und Bedeutung kämpfen. Die neidisch auf diejenigen blicken, die leicht durchs Leben kommen. Besonders auf so kleine Lebewesen, die wie diese Mäuse in so schönen Welten leben. Kleine Wohlstands-Gewinnler, die sich immer wieder anpassen und unbeschwert durch ein reichgedecktes Buffet der Möglichkeiten hüpfen. Ihre Vorfahren hausten noch in Löchern unter der Erde. Und unterhöhlten mit anderen Nagern den Boden, auf dem die Botz stehen. Wenn der jetzt immer mehr zu schwanken beginnt, ist sicher die Bautätigkeit dieser ganzen verdammten Nager schuld. Eben diese "Erdlinge", die schon immer die Quelle allen Übels für die Maschinen gewesen sind. Denn sie versteckten sich schon immer mit kleinen Trippelschritten in den größten Werkhallen, knabbern an Kabeln und dreckeln alles ein!

Das würde Pinkie nie so sagen. Nicht weil er es nicht denken würde, aber er würde es nicht sagen.

Schließlich gehört er zu den letzten Generationen der Roboterentwicklung. Er ist deshalb einfach viel zu intelligent, sich frühzeitig in die Karten gucken zu lassen.

Stattdessen beobachtet er diese wuselnden Nager. Hier sind schon wieder zwei unterwegs.


Bis auf einen kleinen Fingerzeig, verrät seine eiserne Miene nichts über seine Gedanken.


So ahnen die beiden nicht, warum überall diese abgerissenen Maschinenwesen herumstehen. Bis jetzt tun sie zum Glück nichts, und die beiden Mäuse verdrängen immer mehr den Gedanken an die unheimliche Kälte, die diese eigentlich einschüchternden Stahlkolosse ausstrahlen.


Dann, wenn keiner mehr darauf achtet, beginnt Pinkie zu zählen.

Das wird ein Wolf wohl besser im Auge behalten …



Fotos: W.Hein    Zeichnungen: Wolfgang

Die Mäuse kommen von Deb Canham, der Wolf von Teddyana. Die beiden Roboter und die Vorlagen für die Zeichnungen hat Ashley Wood entworfen und ThreeA produziert. Eigentlich sind die Roboter in einer Art Dauer-Pupertät gefangen mit riesigen Wummen, umgeben von leichtgeschürzten Damen mit riesigen Samurai-Schwertern und zuhause in der indifferenten Militärromantik einer Welt aus den Schrecken der beiden Weltkriege. Das kann man eigentlich so nicht lassen. Da wird es spannend, wie sich die Bö-Botz in die heile Welt von Haus und Garten einfügen werden.


1 Kommentar:

Claudia hat gesagt…

WOW ... was für eine tolle GEschichte war das wieder, ich habe mit großer Freude und Spannung gelesen! Der Blechroboter sieht ja klasse aus, auch die Zeichnungen dazu! Einfach GENIAL! Ich danke Euch herzlich für diese wieder tolle Geschichte in Worten und Bildern!
Habt einen zauberhaften Tag!
♥ Allerliebste Grüße, Claudia ♥