Mittwoch, 28. Dezember 2022

Der eiskalte Reiter


In der Schneeprärie steht reglos ein einsamer Reiter und blickt ins Nirgendwo.

Er verharrt so stocksteif, die Eiseskälte zieht unaufhaltsam die Beine hoch. Sein treuer Mustang ist schon bretthart.

Auch der Präriehase ist grün gefroren und zarter Raureif bedeckt sein Haupt.

Er lässt sich nicht einsperren! Auch wenn seine Freiheit ein eisiger Hauch umweht.

"Komm endlich rein!" Der Krieger auf dem Mustang schreckt auf und vergisst dabei ein schönes Profil zu machen. Ein Hoppili stapft vorsichtig über den gefrorenen Boden.

"Drinnen im warmen Wigwam brutzelt das Pemmikan über dem elektrischen Lagerfeuer und alle Langohren haben sich in warme Bisondecken gehüllt." Das Hoppili ist nur widerwillig in die Kälte gezogen, um den einsamen Krieger heimzuholen, bevor er noch zum eisigen Kriegerdenkmal erstarrt.

"Ich bleibe!" raunzt der eiskalte Reiter. "Ich habe gesprochen!"

"Pöh! dann eben nicht," murmelt das Hoppili und macht auf dem Mokassin kehrt, bevor der noch mit einfriert.

Das lässt einen Krieger etwas sprachlos zurück. So einfach hätte sich Little Bear die Freiheit nicht vorgestellt. Er wollte doch dafür kämpfen…

Nun gut, dann verharrt er weiter in der Eisprärie und macht wieder ein schönes Profil.

Idee: SchneiderHein    Fotos: W.Hein

Der kleine Bär auf seinem Pferd kommt von den Hampton Bears aus Australien. Das Pferd ist vielleicht sogar noch der Dekobegeisterung meiner Mutter geschuldet – lang ist es her. Und das Hoppili ist eines der zahlreichen Hoppy VanderHare-Langohren, die mit ihren Kostümen vor einigen Jahren aus den Staaten hier eingezogen sind. Als 'Pocahoppy' gehört es zur Folklore der Gründungsväter-Truthahn Begeisterung des amerikanischen Unabhängigkeitstages. Bei uns ist es natürlich sofort dem Stamm der Langohren beigetreten.


Begrabt mein' Scherz an der Biegung des Flusses.

Natürlich ist 'Little Bear' eine kulturelle Aneignung als "Indianer" aus Australien. Ich sage bewusst 'Indianer' und eben nicht indigenes Mitglied der nordamerikanischen Stammeskultur.

Weil 'Little Bear' ein westliches Konstrukt, eine Erfindung mit inzwischen eigener jahrhundertalter Tradition ist. Und eben nicht das Spiegelbild der realen Erstbewohner des amerikanischen Kontinents. So wie der 'Indianer' als wiederentdeckter Inder immer schon ein Missverständnis und bequeme Vereinfachung für die Europäer gewesen ist. Diese wollten die reale Kulturvielfalt der über 800 Stämme und Volksgruppen sowieso nie verstehen. Es wäre dadurch für die  Handvoll "Weißer" in den riesigen Weiten Amerikas auch viel zu unübersichtlich geworden.

Das Vorbild für "Little Bear" ist der Präriebewohner, den wir als Kinder z. B. im "Wilden Westen" im Fernsehen und im Kino kennengelernt haben. Im "Western" und in den Karl May-Filmen wurde dafür eine Kultur benutzt, die sich längst schon unter dem Einfluss der vordringenden Europäer verändert und angepasst hatte. Ohne verwilderte Pferde aus Europa gäbe es keine Prärienomaden auf der Büffeljagd, die in Tipi-Siedlungen leben und gerne Gewehre nutzen, um Stammesfehden auszutragen. Weil sich alles gegenseitig beeinflusst und es keine reinen Paradise gibt.

'Little Bear' ist eine Aneignung und das ist gut so. Denn die Kultur der Aneignung ist Beginn des Interesses, des Verständnisses über Empathie. Wer nicht in seinem Reservat der eigenen Kultur hocken bleiben will, sollte sich die Art der Aneignung genauer anschauen. Was positiv und ehrlich inspiriert ist, mag zwar schief sein, aber ist auch das Fundament für eine gemeinsame Brücke. 

Wenn Winnetou kein guter Indianer gewesen wäre, gäbe es deutlich weniger Interesse an den indigenen Völkern. Wahrscheinlich gäbe es auch weniger Forschung und die inzwischen gewachsene Einsicht über das Fehlverhalten westlicher Kulturen. Da gehören auch die real existierenden Indianerstämme der DDR-Bürger als kleine Republikfluchten dazu. 

Ohne den Anstoß durch die  "falschen" Vorbilder hätte ich nie "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses" von Dee Brown gelesen. Ich hätte so kein Gegenbild zu den Kavallerie-Heldentaten eines John Waynes bekommen. 

Inzwischen sollten wir wissen, dass jede Filmfigur, jede literarische Figur eine Fiktion, ein Bild und eine notwendige Vereinfachung ist, die einer Intention seines Erfinders folgt. Natürlich sind wir ständig und überall "geframt", weil nichts ohne Botschaft und Absicht in die Welt gesetzt wird. 

Was ich mir nicht aneignen darf, weckt auch keine Emotionen bei mir. Und damit wird es mir letztlich auch egal, ob es dann "woke" ist. Inzwischen klingt vieles wie eine bigotte, kleingeistige Rechthaberei, wenn sofort mit Rassismus, kultureller Aneignung und unzulässigen "Vermittlern" um sich geschlagen wird. Vieles artet schnell in einer Diskussion aus, wer wann was noch tun darf. Wobei der "alte weiße Mann" sich dort lieber ganz raushalten sollte. Wer nicht dazu gehört, weil er nicht betroffen sei, hat deshalb keine Ahnung und kann sich nicht einfühlen. Es bleibt ein Wettlauf der schweren Schicksale, die bitte nur einzeln gewürdigt werden wollen. 

Damit aber frage ich mich, ob ich jemals so ein Schicksal ermessen kann und ob ein Mitfühlen überhaupt noch möglich sei? Wenn mir doch der richtige Hintergrund fehlt und ich diese Verletzungen nie am eigenen Leib erfahren habe. Vielleicht muss ich dann ja draußen bleiben. Aber ich bin da eben auch ganz weit draußen. 

Dabei lebt Kultur vom "Aneignen", vom "Ausleihen" vom "Nachspielen" vom "Imitieren" vom "Schlüpfen in fremde Rollen", muss und darf bisweilen gekünstelt, unecht und übergriffig sein.

Das soll jetzt nicht mehr so sein – die Kunst imitiert nicht mehr das Leben. Sie muss stattdessen authentisch unterfüttert werden. Deshalb spielt kein deutsches Kind mehr Indianer (oder gar Winnetou) und darf inzwischen höchstens Hooligan oder Klimakleber sein. Deshalb übersetzt keine weiße Übersetzer*in das afroamerikanische Gedicht zur Amtseinführung eines alten weißen Mannes – sondern ein korrektes Gremium der Übersetzerinnen mit Migrationshintergrund. Deshalb schminkt sich kein Schauspieler mehr dunkler als Sonnenbankbraun. Künftig sollten "indigene" Rollen auch nur von indigenen Schauspielern besetzt werden, die dafür auch kein "Whitefacing" machen sollten. Othello gehört den Afroamerikanern und Hamlet und Romeo dafür den Skandinaviern und Italienern. Oder sollten die Frauenrollen bei Shakespeare weiterhin von zarten Jünglingen dargestellt werden, weil sie doch so geschrieben waren? Wir brauchen auch unbedingt wieder echte Kastraten für barocke Opern.

Ach ja, auch "Behinderte" werden künftig nur noch von Menschen mit Handicaps dargestellt. Da sollte sich Dustin Hoffman für seinen "Rain Man" mal ordentlich schämen und Robert de Niro für "Zeit des Erwachens". Denn es war ja nicht ihre Welt – sie konnten jederzeit wieder aussteigen. Was ist eigentlich mit sprachbegabten Seeelefanten, die sich von "Urmel aus dem Eis" döskrömönört fühlen?

Was machen wir nur mit der ganzen Kulturgeschichte, die unseren Rassismus der Vergangenheit widerspiegelt? Werke - auch geliebte Kinderbücher – in denen es von Negern, Zigeunern und Indianern wimmelt? In denen Rassisten auftreten und fluchen – manchmal sogar foltern? Neu schreiben, die schlimmen Stellen schwärzen oder gleich in den Giftschrank stellen, wenn nicht eine Nachfahr*in der Betroffenen dazu eine ausgiebige Gegendarstellung in einer Fußnote verfassen kann? Die dann aber auch bitte bei den 'Gute-Nacht-Geschichten' mit vorgelesen werden sollte. Gibt es dann noch Zeitzeugnisse der Vergangenheit, die allgemein zugänglich sind? Oder ist das eine ganz neue Form von "Doppelplusgut", weil der Big Brother of Wokeness unser innerer Zensor geworden ist?


All das macht unsere gemeinsame Welt kleiner, stummer und einsamer.


8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Obwohl doch schon das Ausharren in eisiger Kälte und der Verzicht auf Pemmikan ein ziemlich harter Kampf ist ;-)
Hallo, ihr Lieben, neben den schönen neuen Katzenfotos hab ich grad auch den tapferen einsamen Reiter entdeckt :-)
"Ich habe gesprochen", das hat der Autor auch im Nachwort gemacht und zwar sehr treffend und auf den Punkt, besser kann man die heutigen Zeiterscheinungen nicht beschreiben !
Wünsch euch weniger Regen und bis zum Jahresende weiterhin entspannte, erholsame Tage, herzliche Grüße, Manu

heinwerken hat gesagt…

@ Liebe Manu,

auch Dir entspannte Tage zum Ausklang und einen guten Wechsel ins neue Jahr.
Das Nachwort hätte sogar noch länger werden können. Denn es beunruhigt mich tatsächlich ein wenig, wie ernst und verbissen gerade junge Leute sein können, wenn alles sofort auf einer ständig im Anschlag gehaltenen Goldwaage landet. Oder ist das nur das übliche Gegrummel der Alten, die die Jugend nicht verstehen. Ich hoffe es, bin mir leider aber nicht sicher.

Ich denke nur an Rastalocken, die deutsche Sängerinnen nicht tragen dürfen, wenn sie bei 'Fridays for Future' auftreten wollen. Denn das ist ja eine böse kulturelle Aneignung. Im Afroshop für die richtigen Klientel sind Dreadlocks nur eine Modetorheit, aber als weißes Mittelstandkind beklaut man Bob Marley und die ganze Rastafari-Bewegung. Aber vielleicht hat sie die Haare ja auch von der frühen minoischen Kultur auf Kreta entliehen, die auch schon Frisuren aus verfilzten Haaren kannten. Oder vom dänischen Königshof der Renaissance. Doch dann wäre die Empörung wohl nicht so groß. Da hilft ein wenig Ignoranz, Geschichtsvergessenheit und Toleranz in homöopathischen Dosen ungemein. Beschleunigt wird das Ganze durch die Hektik der sozialen Medien und deren Nachrichteninhalte für die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches, der die Spotlänge bei TikTok bestimmt. Wobei man sich freut, wenn sich die Jugend wieder engagiert, selbst wenn dazu inzwischen ein Allstarprogramm mit Showbühne, Foodtrucks mit Take-Away-Bowl und Süppel-To-Go sowie der SUV-Bringdienst der Helikoptereltern ganz selbstverständlich dazugehören.

LG Wolfgang

Anonym hat gesagt…

Lieber Wolfgang, danke für die Antwort, du sprichst mir aus der Seele !
Jetzt wünsch ich dir und Silke einen gemütlichen letzten Tag des Jahres und fürs Neue alles Liebe und Gute ! Herzliche Grüße an euch, Manu

Mascha hat gesagt…

Das ist aber gut geschrieben, spricht mir total aus der Seele!
Ich auf meiner einsamen Insel hier bekomme ja vieles gar nicht so mit...aber ich weisz schon, warum ich an bestimmten Kontakten nicht interessiert bin bzw. einigen Menschen lieber aus dem Weg gehe. Ich kann über viele dieser Auswüchse nur noch den Kopf schütteln.
Schöne Bildgeschichte natürlich auch, den Link schick ich jetzt gleich mal meinem Schatz rüber.
Liebe Grüsze
Mascha

SchneiderHein hat gesagt…

@ Mascha
Gut, dass ich eben mal zufällig wegen einiger Überlegungen zur Hasel als Vorfrühlings-Zeigerpflanze auf Wildwuchs war, und dann zum Bärenblog rüberhüpfte. Sonst wäre mir Dein Kommentar bestimmt erst viel später aufgefallen ...

Denn leider muss ich Wolfgang inzwischen fast dazu 'treten', dass hier auf dem Blog noch etwas passiert. Was ich allerdings sehr schade finde. Denn im Vergleich zu Instgram hat er doch hier viel mehr Raum für seine Gedanken und kann sich im Nachwort austoben. Denn auch wenn es bei Insta ja die Möglichkeit gibt etwas mehr zu einem Thema zu schreiben, so ist die Buchstabenzahl recht begrenzt. Zumindest habe ich sie schon einige Male überschritten, und konnte nicht alles posten was zu dem veröffentlichten Bild für mich als Erklärung dazu gehörte ...

Ja, ich teste bei Insta gerade so einiges mal spaßeshalber aus. Teilweise bin ich angenehm überrascht. Aber es gibt auch eine große Gruppe, die ein Foto herzt ohne den Zusammenhang zu erkennen/geschweige denn zu lesen. Aber diese Probleme kenne wir beide ja auch schon seit Jahren auf Blogger. Und mit manchen Ansichten ist es nicht anders. Daher schätzen wir auch lieber die kleine feine Gruppe als scheinbar durch Follower und Herzchen so erfolgreich zu sein ;-)

Also war die Mail ok, die ich Dir geschickt habe - ?
LG Silke

Schwabenfrau hat gesagt…

Über den Titel des Häuplings Seattle habe ich mal in der Schule ein Referat schreiben müssen.
Da waren die Zeiten noch anders.

Ich mag mich nicht mehr aufregen, ich helfe meiner Partei hier etwas. Aber solange die Medien unsere Leute so beeinflussen können, wird sich nichts ändern.

Wir gehen schlechten Zeiten entgegen, nur, ich bin vorbereitet, solange es den Menschen gut geht und sie ihren geregelten Tagesablauf haben, dann ist alles gut.

Ich bin nur froh, dass ich schon so alt bin und hoffe, dass ich in den letzten Jahren meines Lebens das alles noch überstehe.

Nur die Jugendllichen und die Enkel, das Aufwachen wrid schlimm werden.

Freundliche Grüße Eva

heinwerken hat gesagt…

@ Eva,

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann." Nun für Gold gilt das bedingt, kann man damit doch Hamburger für neureiche Ballartisten aufpimpen. Obwohl ich nicht sicher bin, ob der Nährwert von Gold auf die Lebensmittelampel passt - so als "Z".

Die Rede von Häuptling Seattle, mag sie auch gut erfunden sein, macht hier noch einmal ein ganz neues Thema auf. Und ist auch unser Sehnsucht geschuldet, dass es Menschen gibt, die nachhaltiger und sorgsamer mit ihrem Lebensraum umgehen. Das sind dann erst recht "Edle Wilde", die noch über ein Wissen verfügen, dass den Zivilisierten offensichtlich verloren gegangen ist. (Dumm nur, dass auch indigene Völker bisweilen ihre Ressourcen so ausgebeutet haben, dass sie ihre Zivilisation aufgeben mussten. Am Ende sind es auch nur Menschen.)

Leider scheint die Geschichte die Raffzähne und diktatorischen Spalter zu belohnen. Denn eigentlich ist die Geschichte der Menscheheit eine Geschichte der Ungleichheit, Ausbeutung, Eroberung und Verschwendung. (Was wohl auch daran liegt, dass nur diese Menschen "Geschichte schreiben" – während die anderen "nur" leben.) Wenn man nicht dazu gehören würde, käme man wirklich auf die Idee, dass die Menschheit ein Parasit, ein Virus ist und eben der nächste Grund für das nächste Massenaussterben, nach Meteoriten, Vulkanausbrüchen und der Erfindung des Sauerstoffs durch Pflanzen.

Da ist das Tröstliche, dass die Erde und das Leben nicht die Menschen braucht. Das wird sich erneuern und weiter machen. Nur wir brauchen diese Erde, weil wir inzwischen in immer fragileren Strukturen leben. Und das machen wir uns gemeinsam immer schwerer, zumal die einfache Ausflucht heißt: "Verzicht? Blödsinn, das machen wir mit Technik!" Wenn Häuptling Seattle fragt, wer holt den Bison zurück, wenn der letzte erschossen worden ist? Dan heißt es inzwischen: "Gentechnik", wenn wir noch alte DNA wie bei den Mammuts finden und das neue Büffelsteak kommt aus der Retorte und wächst in der Petrischale.

So fliehen die 'Happy Few' gedanklich mit Raketen zu neuen Welten in die Sterne, züchten im Labor zu Horrorpreisen künstliches Fleisch, sausen immer noch in gepanzerten rollenden Multimediafestungen in der Nacht über die Autobahnen im Namen der Freiheit. Und verteufeln diese Verrückten mit Sekundenkleber an den Händen und Kartoffelpüree im Museum. Die den Untergang der Menschheit herbeiführen, weil sie für 9 Euro öffentliche Verkehrsmittel und ein Tempolimit wollen. Und das wird die Malediven auch nicht davor retten, ein Ganzjahres-Unterwasserressort zu werden.

Da ist es tröstlich, wenn man einen Gott hat, der sich persönlich kümmert, dafür eine riesige Schöpfung in Gang setzt. Der Jahrmillionen darauf wartet, dass ein Ebenbild entsteht, das sich über 3,2 Millionen Jahre vom Urmenschen Lucy entwickeln muss, bis man ihm endlich vor 2000 Jahren einen Sohn als Opferlamm schicken kann. Dafür, dass dieses Ebenbild auf einem winzigen blauen Stecknadelkopf hockt, der am Rande der eigenen Galaxie weit draußen in der Milchstraße am äußersten Arsch des Universums liegt. Und doch ist jeder einzelne Mensch die Krone der Schöpfung. Diesen Trost habe ich leider nicht. Aber hoffentlich habe ich unrecht, denn sonst kommt danach nur ein weißes Rauschen. Dann ist Alter auch kein echter Vorteil, weil die Zeit dahin immer kürzer wird.

Im Privaten bleiben da immer noch die Binsen: Lebe deinen Tag, als wenn es dein letzter wäre. Das Leben ist das, was man daraus macht. Bis jetzt ist alles gut gegangen. Aber ich weiß auch: Ich habe bis jetzt in glücklichen Zeiten gelebt und war immer auf der privilegierten Seite. Und so unangenehm es für die Kinder und Enkel hier werden wird, wird sich das auch nicht so schnell ändern.

Uff, das war jetzt aber ein weiter Weg von einem einsamen Bären auf einem Holzpferd im kalten Schnee.

Liebe Grüße Wolfgang (und hoffentlich bist du jetzt nicht erschlagen)

heinwerken hat gesagt…


@ kleine Nachbemerkung: Aneignung bleibt das Thema ;-)

Denn mir ist selbst gerade eine unbeabsichtigte Zueignung unterlaufen: Der Einstieg in dem Kommentar für Eva: "Erst wenn ... Geld nicht essen kann." ist ja gar nicht von Häuptling Seattle sondern zitiert die nicht weniger beliebte Weissagung der Cree. Diese beruht zwar auf einer Passage in der Rede von Seattle zur Wiederkehr der Regenbogenkrieger, ist aber nicht Teil der Rede. In dem Internetartikel zum Text von Chief Seattle, war das Zitat nur als Bild angehängt (https://www.bund-lemgo.de/download/seattle.pdf). Darüber ein Portrait von Sitting Bull, der mit seinem Federschmuck ja auch viel eindrucksvoller aussieht als das wohl einzig bekannte Foto von Häuptling See-alth, der zu 'Seattle' von den Weißen verballhornt wurde. Danach wurde eine Stadt im früheren Siedlungsgebiet seines Stammes nach ihm benannt. Das wäre so, als wenn im Ruhrgebiet der spätere Sitz der Landesregierung "Hotte" oder "Atze" hießen würden.

Dabei sind sowohl die Weissagung der Cree wie auch die uns bekannte vierte Version der Seattle Rede wohl komplette Erfindungen weißer Ökoaktivisten der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie wollten einfach eine bessere Story für ihre Ansichten haben und haben dafür eine indigene Ahnentafel erfunden. Auch wenn indigene Aktivisten diese Zitate sich danach wieder für den eigenen Kampf zurück angeeignet haben.

Dass diese Rede nicht korrekt sein kann, beweisen viele Details. Die Stämme der Suquamish und Duwamish, zwei Stämme der Küsten-Salish, lebten auf einer Halbinsel und nicht mitten in der Prärie bei den Bisonherden - Seattle liegt ja auch nicht im Landesinneren ;-). Die Rede hielt er 1854, weit vor der Zeit bevor die Eisenbahn 1869 den Westen eroberte und von den Wagen aus die damals noch riesigen Bisonherden einfach abgeschlachtet werden konnten.

Die erste Fassung der Rede, 33 Jahre später von einem anwesenden Zeitungsmann "aufgezeichnet", war wohl auch schon pure Fiktion, enthielt aber noch keine Ökobotschaft. Dort ging es eher um das schwierige Zusammenleben von Indigenen und Weißen und den fehlenden Schutz für die Welt der Ahnen, wenn die Salish nun ihr Land hergeben müssten. Deshalb geht es hier auch um die Wiederkehr der Regenbogenkrieger – in der romantischen Verklärung weißer Zeitungsmacher für ihr aufgeklärtes Publikum im Norden der USA.Weil 1887 die meisten indigenen Völker längst in immer ärmlichere Reservate verfrachtet waren. Auch wenn 1890 noch ein letztes Aufflackern von Widerstand zum Massaker von Wounded Knee führte. Hierher gehört dann auch das Zitat "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses (Wounded Knee)", das dem ermordeten Chief Spotted Elk zugeschrieben wurde als Schlusspunkt des Genozids an den Sioux und anderen Prärieindigenen.

Alles brav wieder bei wikipedia zusammengeklaubt, aber es ist ja wirklich ein großes Abenteuer mit der Aneignung. Doch wer inzwischen zweimal überlegt, ob er sich weiter von einem Winnetou unterhalten lassen will, sollte wohl auch die geliebte Greenpeace-Folklore der Aufkleber mit Indianerweisheiten verzichten ...

LG Wolfgang