Sonntag, 4. September 2011

Oben bleiben



Da schaut scheu ein Kellerkind aus dem Bodenfenster im
sonnendurchtränkten Treppenhaus. Niemand ist zu sehen,
da kann die graue Bärin vielleicht doch endlich mal Haus
und Garten kennenlernen. So viel Licht lässt das blasse
Tiefenmädchen aber erst einmal blinzeln.

Seit sie vor drei Tagen angekommen ist, hat eine vorsichtige
Euphemia sich die ganze Zeit im Keller verborgen gehalten.
Solange die beiden Katzen noch oben schlafen, ist der
Katzenkorb unbenutzt. Sie ist dort gleich eingezogen. Vorher
hat sie nur die Katzendecke gut ausgeschüttelt und dann doch
lieber auf links gedreht. So viele graue Katzenhaare stören
im Bärenfell.

Heute hat die Bärin genau hinter dem Kellerfenster gehorcht,
bis es draußen ganz, ganz lange mucksmäuschenstill gewesen
ist. Jetzt sind wohl alle weg. Also ist sie schnell durch das
Treppenhaus gehuscht und steckt nun schon die Schnauze in
den sonnengefleckten Garten.

Wie viel Licht ist hier im Vergleich zum Keller. Ein
vorwitziger Wind zieht ständig am kurzen Fell. Und
es riecht auch so anders . . . selbst die Spinnen
bauen hier ganz wilde Netze.

Das satte Grün mischt sich schon mit vereinzeltem Gelb
und Braun. Euphemia ist begeistert: Es gibt sogar noch
weiße Blüten, die weithin im noch dichten Laub leuchten.

Besonders die hoch aufgeschossenen Herbstanemonen mit
ihren goldenen Staubgefäßen mit lichtgrünen Augen haben
es dem Kellerkind auf Abwegen angetan.

Solche weißen Duftspender fehlen wirklich im dämmerigen
Untergeschoss. Leicht beschwingt tappt die Bärin von einer
Blühpflanze zur nächsten. Sie streicht leicht über die zarten
Blütenbüschel, die sanft zurückschwingen.

Als es Zeit wird, wieder in den Keller zurückzugehen, nimmt
sich Euphemia ein paar der weißen Blumen mit. Damit kann
sie den Katzenkorb dekorieren oder in das Glitzerlicht der
Glasbausteine im Vorratskeller legen.

Am Teich muss sie noch schnell auf ein Kunststeinkaninchen
steigen, um ein Windlicht einzusammeln. Das wird ein mildes
Flackerlicht am Abend machen. Dafür muss sie nur noch im
Werkzeugregal
Streichhölzer finden. An die alten Drehschalter
in der Waschküche kommt die junge Bärin noch nicht ran und
dann gleißt auch nur so eine kalte Neonröhre. Bei dem ganzen
Dekogerümpel fällt es bestimmt nicht auf, wenn sie sich neben
den Blumen auch noch die Laterne ausborgt.

Einen kurzen Moment in der Sonne gönnt sich die blassgraue
Bärin noch mit ihren Fundstücken. Hoffentlich hat noch niemand
gemerkt, dass sie sich hier häuslich einrichten will. Aber sie
scheint ja auch die erste Bärin im Keller zu sein.

Plötzlich stürmt ein aufgeregter Wildwestpetz an Euphemia
vorbei. Die kann sich so schnell gar nicht verstecken und
versucht nur noch, mit dem Arm das Gesicht zu verdecken.
Aber der Hutjunge hat überhaupt keine Augen für ängstliche
Kellerkinder. Er muss dringend zum großen Blechwasser hinten
in der Steinprärie.

"Alex, wart' auf mich!" Eine weiße Bärin stürmt hinterher.
"Ich will auch diese Enterbten rächen und dabei einsam sein."

Euphemia wundert sich. Da stehen die beiden Bären in der Sonne
und streiten sich, was wohl einsam bedeutet. Und keiner kümmert
sich um sie. Dafür ruft eine kleine Bärin in Rosa, dass sie gleich
einen eigenbrötlerischen Sturkopf ganz furchtbar nass macht.

Vielleicht muss sie ja gar nicht im Keller wohnen, weil es
keinen stört, wenn hier eine Bärin mehr oder weniger
rumsitzt. Dann könnte sie ja oben bei Licht und Blumen
bleiben. Und eine Eigenbrötlerin ist auch sie ...

Sie hat sich eine Stulle mit guter Butter gemacht, bevor
sie in den Garten gegangen ist. Die graue Kellerpetzin
wickelt das Brot sorgfältig aus dem Papier, damit es nicht
in den Dreck rutscht.

Dann beißt Euphemia herzhaft in die Schinkenknifke und
mümmelt schön langsam das Bärenbrot. Sie wird noch lange
hier sitzen bleiben und auf die wärmenden Sonnenflecken
warten, die schnell ziehende Wolken durch den Garten treiben.
Und dann wird sie sich das Haus mal oben ansehen.

Hinten auf dem Steg hat ein großer Eigenbrotbär zwar immer
noch nichts zu essen, aber inzwischen eine tropfende Nase.
Und die weiße Bärin stapft heftig mit den Füßen auf, weil sie
einen Heißhunger auf dieses Rächerzeugs hat. Vielleicht sollte
Euphemia das nächste Mal Stullen für alle schmieren.


Fotos: W.Hein

Euphemia, das Kellerkind ist von Barbara Fernholz (Zaubearhaft) und ist völlig
überraschend in unseren Haushalt gekommen. Den Namen hat sie mitgebracht
und sollte auch nicht unbedingt eine Gartenheldin werden müssen. Das ist
inzwischen wohl
doch anders gekommen.

Alex ist ein Valdorf Bär und Rosalie kommt von Ulrike und Claude Charles
.
Die Herbstanemonen, die Euphemia aus dem Garten trägt, sind übrigens
Kunstblumen, damit keine echten Blumen aus dem Garten gerupft werden
mussten. Dass diese Kunstblumen im eigenen Fundus schon längst vorhanden
waren, wäre dem Herrn Chefausstatter dabei fast entgangen. Erst eine große
Google-Recherche für Anemonen im Kunstblumenhandel zeigte auch einige
alte Bilder aus "Dekogerümpel".


6 Kommentare:

МамаФиалка hat gesagt…

Какие красивыееееее

Zwischen den Meeren hat gesagt…

...eine sehr, sehr schöne sonntagsgeschichte, danke dir herzlich dafür!
glg
lisanne

winterludes hat gesagt…

i love her apron, so nice…

Lilo hat gesagt…

....wie wunderschön und aufwendig erstellt!
Es macht Spaß zu Lesen und zu schauen!
Vielen Dank dafür!

Einen schönen Restsonntag mit ganz
lieben Grüßen sendet
Lilo

Jerry and Ben hat gesagt…

Wonderful photos! We enjoyed looking at them!

Brigitte hat gesagt…

Für mich war das jetzt eine wunderschöne Abendgeschichte! So liebevoll aufgebaut, fotografiert und geschrieben!

Lieben Gruß, Brigitte