Dienstag, 7. Februar 2017

Gut bürgerlich schMausen



Eirig kullernd versucht die gelbe Frucht ihrem Schicksal zu entfliehen. Daisy wollte sie gerade in zwei Hälften zerteilen, um sie besser auspressen zu können. Doch jetzt muss die Maus wieder vom Hocker steigen, um die Zitrone einzufangen. Es ist schon etwas unpraktisch, dass die kleinen Nager immer auf irgendwelche Schemel und Hocker klettern müssen, um an die Arbeitsflächen zu kommen. Und wieder runterklettern müssen, wenn sie etwas vergessen haben oder eben die Zutaten abhauen.

Der Kühlschrank hat da eine viel bessere 'Mausognomie' oder 'Greifhöhe' wie Gennie sagt. Die leckeren Dinge packt sie einfach auf die unteren Roste. Das große Eisfach ist zum Glück oben. Denn da sind die Dinge drin, die sowieso nicht taugen für eine mauseflinke Küche, die nie Zeit hat. Die Zutaten werden ruckzuck steinhart und eisekalt, sodass hungrige Mäuse ewig warten müssten, bis sie damit endlich weiter kochen könnten.


Daisy muss sogar noch auf die Leiter steigen, weil der Puderzucker etwas höher im Regal steht. Sie will Küchlein mit rotem Marmeladenherz zum Nachstisch backen und ist immer noch nicht im Ofen ankommen. Kein Wunder, wenn die Kleine die ganze Zeit immer nur rauf und runter klettern muss.

Olivia steht am Herd und brutzelt eifrig Bratwürste und Spiegeleier für das sämige Kartoffelpürree. Doch auf dem Tisch wird noch an der Suppe für die Vorspeise geschnippelt. Gennie schlägt die Pfoten an den Kopf: Also irgendwie haben die Mädchen noch nicht geklärt, wie die Speisefolge zum Sonntagsessen werden soll. Jetzt wird Olivias Hauptgang rußschwarz oder längst wieder kalt, wenn endlich die suppige Vorspeise aufgetischt wird. Und einen Nachtisch gibt es wohl erst unter der Woche, wenn Daisy weiterhin nur durch die Küche wieselt, statt endlich die letzten Kuchenkuhlen mit Marmelade zu füllen …

Millie und Prettypink kommen endlich wieder nach längerer Gesprächspause zum Suppenkochen. Die klare Gemüsesuppe könnte doch noch auf den Herd, wenn Olivia dort nicht schon alle Flammen besetzt hätte. Das sind doch alles Pfannen für Kurzgebratenes – das hätten sie doch sicher noch im Endspurt geschafft. Und Millie bastelt auch schon länger an einem Gulaschtopf. Mit viel Fleisch und wenig Sättigungsfüllern. So ein Gulasch wird am Besten, wenn man es stundenlang köchelt, bis das Filetfleisch fast schon in butterzarte Fasern zerfällt. Und es schmeckt so richtig lecker, wenn die Reste am nächsten Tag noch mal aufwärmt werden. Da kann Millie diesen Sonntag eigentlich längst vergessen und hat plötzlich noch ganz viel Zeit.

Daisy, die umtriebige Nachtischsbäckerin, hat inzwischen die Kräuterecke entdeckt. Jetzt durchwühlt sie das Blattwerk, ob sich im dichten Grün nicht doch noch eine Zitronenmelisse versteckt. Die ist sicher noch so flüchtig wie die gelben Schalenfrüchte und würde sich auch nicht so lange wehren, wenn sie für eine spritzige Zuckerzitronenglasur verarbeitet werden soll.

 "Mmmh! Leckerschmecker!" verkündet Millie, als sie den Rührer aus dem Gulaschtopf zieht und genüsslich ableckt. Muss sie das jetzt wirklich noch stundenlang auf kleiner Flamme ziehen lassen? Und wie dickt sie die Flüssigkeit ein, damit sie so dick wie braune Soße wird? Die anderen Mäuse sind gegen einen braunen Soßenbinder, weil das so künstlich sei. Vielleicht sollte sie getrocknete Kartoffelflocken einstreuen? Aber hat die eine Olivia nicht alle schon längst für ihr Pürree verbraten?

"Wenn du weiter so probierst," bremst sie Prettypink, "können wir gleich etwas Neues kochen." Die weiße Maus ist eigentlich nur vorbeigekommen, weil sie ein kleines Schnippelmesser zum Kartoffelschälen sucht. Aber jetzt befürchtet sie, dass ihre Freundin schon ihre Suppe auslöffelt, bevor sie auf den Tisch kommen soll.

Schnell bringt sie ein Tablett mit zwei Suppentellern. Wenn diese Suppe schon so lecker schmeckt, können sie doch jetzt gleich die Teller verteilen. So als Zwischendurchmahlzeit beim Kochen. Doch Millie hat bis jetzt nur die Flüssigkeit zwischen der stückigen Fleischeinlage probiert. Die Brocken sind noch ziemlich fest und wollen noch gar nicht zerfallen. Da muss der ganze Topf wieder auf den Herd.

 So wendet sich Pretty wieder dem Säbeln der Suppenkartoffel zu. Immer noch mit einem riesigen Kochmesser. Bevor sie sich in die Pfoten schneidet, kocht sie die Schale einfach mit. Soll doch auch viel gesünder sein.

Der kleine Träumer hat noch keine Zeit für das Mittagessen. Er pult immer neue Spielsachen aus dem Regal und entdeckt dabei ständig neue Spiele. Nun ist gerade das Hammerbrett dran. Da ist es gut, dass Victoria ihre Porzelanvasensammlung ganz oben im Regal in Sicherheit gebracht hat. Sonst hätte jetzt sicher jemand austesten müssen, wie denn so die unterschiedlichen Vasen klingen. Die dicken, die schlanken und die auf Füßchen. Dazu müsste die Frage geklärt werden, ob es auch wichtig ist, welche Art von Blumen auf die Klangkörper gemalt worden sind.

Auch Pearl hat keine Zeit für dieses ausgebige Mittagsschmausen mit dunklem Braten, schweren Soßen und buttertriefenden Gemüse, das die meiste Farbe schon im Topf gelassen hat. Heute sind es zwar nur im Pfannenfett liegende Bulletten mit allerlei Erbsen und Möhrchen. Nicht zu vergessen die Sättigungsbeilage aus gesalzenen Kartoffeln im Stück. Aber das lockt die Maus nicht hinterm grünen Kachelofen hervor. So eine rotleuchtende Süßspeise mit Sahnehaube ist dagegen ein unwiderstehlicher Magnet. Sie ist eine Süße und hat schon längst ein hungriges Knopfauge auf den Nachtisch geworfen.

 "Will jemand auf seinen klebrigen Kompott verzichten?" fragt das kleine Leckermaul. "Da ist sicher ganz viel ungesunder Zucker drin …" Sie wartet einen Moment, ob nicht das Klappern und Schaben auf den Tellern kurz aufhört oder sonst eine Reaktion vom Esstisch kommt. Doch nichts pasiert: "Ich tausche dafür auch meine frische Fleischpflanze und das andere – sicher ganz gesunde – Grünzeug …"

Albert nippt am Rharbarberwein. Der ist ein funkelnder Lichtblick in diesem ganzen wöchentlichen Sonntagsritual. Sie sitzen zwar schon am Esstisch mit dampfenden Töpfen und Schüsseln. Während in der Küche die Mädels noch mit der richtigen Speisefolge ringen, liegt auf seinem Teller schon ein volles Menü. Frikadelle mit knackigen Tiefkühlerbsen und dazu Kartoffeln mit einem glänzemdem Überzug aus geschmolzener Butter. Dazu noch ein Glas Fruchtwein – was könnte schöner sein, als eine genussvolle Auszeit in dem von Victoria dicht gestopften Sonntagsprogramm. Sie will den freien Tag nicht tatenlos verschwenden und hat heute noch einiges vor.
 
Doch jetzt möchte Victoria, dass sich alle am Tisch versammeln, um gemeinsam das gute Essen nicht umkommen zu lassen. Und das ist – wie jeden Sonntag – etwas schwierig. Zwei der Kleinen haben es immer noch nicht bis zum Tisch geschafft und stromern weiterhin durch das Zimmer.

 Sie hat sich ja längst daran gewöhnt, das Jack jeden Sonntag eine Extrawurst ohne Fleisch bekommt. Er sitzt wenigstens am Tisch vor einem Teller Pommes Schranke.

Alice hat dafür – auch wie jeden Sonntag – immer noch nichts auf dem Teller, weil sie die ganze Zeit etwas erzählen muss. Und deshalb nicht zum Auftun, geschweige denn zum eigentlichen Essen kommt. Den Teller kann Victoria wahrscheinlich nachher kurz abstauben, bevor er wieder in den Schrank kommt. Gerade beklagt sich Alice, dass Jack die ganze Zeit so mit der Gabel umherfuchtelt. Die ist so spitz und gefährlich. Jack hat sofort eine gute Idee: Er steckt auf das spitze Ende einfach ein Pommesstück – "mit Ketschupp." "Vorsicht! Wenn du weiter damit so wedelst, bekleckerst du noch mein Kleid!"

Victoria greift ein, um zu schlichten. Sie schlägt Alice einen Handel vor. Jack passt besser auf, wenn Alice dafür sich den Teller füllt und auf den Stuhl setzt, um die extra aufgetischten Speisen auch mal zu essen. Albert versucht inzwischen der frei fliegenden Pearl zu erklären, dass es Nachtisch heißt, weil man dafür erst einmal an den Tisch setzen und sich durch den Hauptgang arbeiten muss. Und weil das Ganze den selben Erfolg hat wie jeden Sonntag, nimmt er anschließend einen kräftigeren Schluck Wein.

 Pearl ist stattdessen bei der Käseplatte angekommen. "Ich könnte vorab ein Stück Käse nehmen. Wenn man am Sonntag nicht gleich mit dem Süßen anfangen darf." Aber eigentlich würde sie doch lieber erst die rote Grütze weglöffeln. Denn sie hat gehört, 'Käse schließt den Magen'. Und wenn der danach zu ist, passen keine süße Beeren in Zuckergelee mehr rein. Dann ist der 'Käse zum Essen' ja ein Trick, damit die anderen mehr Süßspeisen bekommen. Und die gibt es auch erst ganz am Schluss, weil dann die Chance größer ist, dass sich die meisten unvorsichtigerweise schon vorher pappsatt gefuttert haben.

Der kleine Träumer hat immer noch keine Zeit. Nach dem ganzen Holzgehämmer am Regal muss er unbedingt mit dem Blechmann reden. Vielleicht kann er ihn ja davon überzeugen, dass er mit in die andere Spielecke kommt. Er kann seine Freunde ja mitbringen. Der kleine Mäuserich hat genug Spielzeug für alle. Und viel Platz, weil die anderen sich alle nur am Tisch drängeln.

Alice erklärt Jack gerade, dass Pommes kein echtes Gemüse sind. Da hilft auch nicht, dass 'Ketschupp' aus Tomaten gemacht wird. "Ich nehm auch ganz viel davon!" beharrt der kleine Matrose. Trotzdem 'gesund' ist nur echtes Gemüse. Davon kann man nicht genug essen. Wenn die kluge Maus doch nur den eigenen Rat befolgen würde, denkt dabei Victoria. Denn noch ist der Teller von Alice immer noch leer. Sie hat einfach keine Zeit.

 Da kann Albert auch nicht helfen. Er macht doch schon, was er kann. Aber soll er alle an die Stühle binden und zwangsernähren? Oder ohne Essen ins Bett schicken? Oder sie fahren zum Fastfuudtempel und versinken in einem Berg von Verpackungsmüll, der sich auf schlichten Plastiktabletts türmt. Wenn jeder seine Baukastenmahlzeit in Papier und Pappe sucht.

Victoria seufzt, als sie sich dem eigenem Teller widmet. Bevor alles – wie bei den anderen – auch noch kalt wird. Das wäre bei all der Mühe einfach nur schade. Aber ist es denn so ein vermessener Wunsch, wenn sie doch einfach nur davon träumt, dass sie sich alle an einen Tisch setzen? Und dann ein gutes Essen gemeinsam genießen?

Hella hat die ganze Zeit in der Küche genau zugeschaut. Hier lädt sie sich sicher nicht zum Sonntagsschmaus ein …

Denn genau betrachtet ist alles, was hier gekocht wird, doch ziemlicher Schweinkram.


Idee: SchneiderHein       Fotos: W.Hein



Hella – Buntsau von Hanne Mahnke, Bärenhöhle Hannover
Alle Mäuse – Mini Mices von Deb Canham, Florida
Sonntagsspeisen – Miniaturen von Mellis Minis; Ebay

Wie am Veröffentlichungsdatum sieht, haben nicht nur die Mäuse ein Zeitproblem damit, den Sonntagsbraten rechtzeitig auf den Tisch zu bekommen ;-) Aber das EInrichten, Ausstaffieren, Beleben, Dokumentieren und am Ende das Nachbereiten dauert doch immer länger als geplant. Da ist es eigentlich – wie bei einer guten Gulaschsuppe – viel zu spät, wenn man erst am Sonntag anfängt.

Die liebevollen Miniaturmahlzeiten von Mellis Minis waren der Anlass, das ich von Silke meine früheren Leibspeisen zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Aber eben nur in Mausegröße, sodass jetzt dieser Post entstanden ist. Denn damit leben nun unsere Mäuse aus, was wir Großen uns künftig verkneifen sollten. Ob schwere Speisen, in Fett gebrutzelt, ob Zucker getarnt als Süßspeise oder Ketchup, ob Kuchen aus Weizenmehl oder reichlich Kochhilfen aus dem Labor und dazu noch der Alkohol. Das überlassen wir nun den kleinen Mäusen, die das alles besser wegstecken. Dazu gehören eben auch viele Speisen aus meinen Kindertagen, bei deren Erinnerung mir immer noch das Wasser im Mund zusammenläuft. Ob eine so sämige, fleischlastige Gulaschsuppe, die eigentlich schon als pures Rind mit Soße und ein paar Alibipilzen angesetzt war oder Buletten/Frikadellen mit reduziertem Schweineanteil dicht an dicht im Fett schwimmend. Dies und einiges mehr waren meine Favoriten in der Kochkunst meiner Mutter. Da war es später egal, dass dort mit Gewürzmischungen und Soßenbinder eigentlich Zutaten reinkamen, die in Silkes und meiner Küche schon lange keinen Platz mehr hatten. So sind die 'Originale' schon vor einigen Jahren verschwunden, als meine Mutter ihre Fähigkeit zu kochen langsam verlor. Nach ihrem Tod sind nun auch die Rezepte verloren. Aber inzwischen müssen wir uns keine Mühe geben, sie wieder neu zu entdecken – mit einer Typ 2 Diabetis sollte man – siehe oben – seine Nahrung lieber umstellen. Und solche Genüsse dann lieber nur noch hier auftischen.



3 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Eine wunderbare Geschichte, mit Sinn und zum Nachdneken +ber bestiommte Essverhalten anregend! ach, ich htte mich eben zu gerngeschrumpft und wäre mit in diese wieder so schöne Geschichte reingeschlupfrt, um hautnah dabei zu sein *lächel*
Danke für die immer so viele und aber auch großartige Mühe, die ihr Euch für all die herrlichen Geschichten macht! ICh bin da immer wieder Kind beim lesen und ganz hin und weg ...
DANKE, DANKE, DANKE :O)))
Habt noch eine wunderschöne Woche!
♥ Allerliebste Grüße,Claudia ♥

Anonym hat gesagt…

Von wegen gut bürgerlich schMausen, diese Küche hat inzwischen den ersten Mischlän - Stern verdient ... und Auftritte bei der Küchenschlacht im Zetdeeff oder den vielen anderen Kochschaus im Tivi ! So grillt ihr jeden Koch ! Und zu Hellas Schweinkram: Manchmal brauchts einfach einen großen Topf Gulasch nach Mamas Art und ein Glas Wein und nachher Käse oder Süßes ! Hab jetzt Hunger bekommen, kann man bei euch auch den Lieferservice anrufen ?
Hallo, ihr zwei, ihr schafft es mit euren Posts immer wieder, vom Alltag abzulenken und zu träumen und zu lachen über die Geschichten und Bilder ... also gönnt euch heut selbst noch ein Lecker - Bisschen ! Herzliche Grüße und möglichst entspannte, genussvolle Woche wünscht euch Manu

heinwerken hat gesagt…

Nun so ganz kann man es der Buntsau nicht verdenken. Wer trägt sich schon selber gern zur Schlachtbank? Auch wenn Donald Duck am Sonntag ein Brathähnchen verspeist. Es bleiben ja noch einige Genüsse über, aber für uns heißt das Stichwort inzwischen eher mediterran denn Mamas Klassiker der letzten Nachwehen einer Fresswelle. Und die Wundertüten von Maggi, Knorr und der anderen Zauberkünstler der schnellen Küche bleiben tabu. Essen ist ja nicht nur das Kochen sondern auch das Genießen i Gemeinschaft. Aber das ist heute auch nicht so einfach geworden mit Fernsehen und Second Screen. Und Eltern beneide ich nicht, wenn sie ihrem Nachwuchs die Freuden des gemeinsamen Tafelns vermitteln wollen. Da haben es Albert und Victoria noch leicht.

Der Post ist übrigens noch einmal durchgesehen. Jetzt sollten die Tippfehler raus und schiefen Sätze begradigt sein und endlich lassen sich alle Bilder auch vergrößern. Vielen Dank für die Nachsicht und das tapfere Durchhalten beim Lesen von holprigen Gedanken.

Liebe Grüße zurück und allen auch eine schöne Woche bis zum nächsten Sontagsschmaus. Wolfgang