Samstag, 15. August 2015

Tüdderkram aus aller Welt



"Uijuijui! Das klingt ja wieder mal nach ganz dickem Semannsgarn" Der graue Seebär mag da gar nicht so genau hinhören.

Dafür hängen Antonetta und Doppelblau an den Lippen des kleinen Seehasen: "Natürlich ist das echtes Seemannsgarn, das hier zusammengeponnen ist."

"Wenn so ein Pott auf große Fahrt geht, ist es die meiste Zeit ziemlich öde. Und dann erzählen sich die Matrosen ihre beste Geschichten: Von Meerjungfrauen und Sirenen, die mit lautem Liebesliedern die Seeleute in ein feuchtes Unglück locken. Oder von Hafenspelunken mit leichten Mädchen, die so heißen, weil sie die Männer um die Heuer erleichtert haben, wenn die am nächsten Tag mit einem schweren Kopf aufwachen. Und von Piraten, die Schiffe mit falschen Lichtern an zerklüfteten Küsten mit scharfen Riffen zerschellen lassen. Und wie der Smutje seinen falschen Goldzahn aus Versehen in der Suppe mitgekocht hat. Aus diesen Geschichten und vielen anderen werden mächtige Tampen geflochten, wie dieser hier." Hasenmaus hat sich so in große Fahrt geredet, dass er gar nicht bemerkt, wie die Ratte dem blauen Jungen zuflüstert: "Ich glaube, er erzählt uns was vom Seepferd." 

Dabei wissen nicht nur blauen Seehasen Bescheid. Auch die kleine weiße Maus kennt den Fachhandel für Seemannsgarn und anderen Tüdderkram aus aller Welt. Sie war schon mal mit Genni im Laden, um nach maritimen Gedöns zu suchen, das sich immer gut in der Deko macht und in jedem Neubau im Vorort den würzigen Duft von Abenteuer und der weiten Welt wehen lässt.

Während Genni Sinclair nach den neusten Altwaren fragt … sie sollen doch aussehen, als ob sie mindestens eine Weltumseglung und eine Sturmflut überstanden hätten … während Sinclair also noch überlegt, ob in Südostasien beim Basteln der Instant-Antiquitäten diese auch ordentlich geschmirgelt und abgewetzt werden, hat die weiße Maus einen kleinen Tiefseetaucher entdeckt. Den würde sie ja gern für die Badewanne mitnehmen. Wenn sich der Taucher dabei nicht unterfordert fühlt.

Ein eigener Laden für maritime Kurzwaren mit Unterhaltungswert? Kaum zu glauben, da will dieses Langohr Antonetta einen riesigen Seebären aufbinden. Mit diesem geflochtenen Band aus feinstem Seemannsgarn, das der Hase ihnen jetzt großzügig überlässt: "Ihr könnt es ja mal anfassen, wenn ihr mir nicht glaubt." Doppelblau nickt eifrig, natürlich ist das geflochtene Seegeschichte: "Oh ja, das ist ja ganz wunderprächtig."

In der Ecke sortieren die beiden Leichtgehilfen die Auslagen und sperren sperrige Schnüre, Taue und Tampen wieder in die Schübe. Jetzt bloß nicht 'Bändsel' sagen, aber die Verkaufsgespräche überlassen beide sowieso dem Chef.

"Schau mal, Genni, eine große Atlantiküberfahrt mit ohne Eisberg – schon sauber aufgewickelt" Die kleine Maus hat endlich das richtige Seemanngarn aus den Schubladen gezogen. Zuerst sah es ja nach nichts aus, aber dann musste Sinclair den beiden mit dem Eisberg nur auf die Sprünge helfen.

Das muss auch Hasenmaus, er spürt noch ein gewissen Unglauben bei seinen beiden Zuhöhrenden. Noch mögen sie nicht zugeben, dass sie hier echtes Seemannsgarn in den Pfoten halten.

Lotte hat lange genug zugehört. Sie wundert sich, dass die alten Seebären dabei so ruhig bleiben. 'Seemannsgarn' ist doch nur Seemannsgarn.

"Tschäh, das kann nicht wissen," Die alten Zausel wollen sich nicht so festlegen lassen: "Manche sagen so – andere sagen wieder so." Eigentlich sind sie einfach zu neugierig, wie weit es der kleine Seehase noch treiben kann.

Ehrfürchtig lässt Doppelblau die Knoten durch die Pfoten gleiten. Endlich darf der kleine Bär das kostbare Tau allein anfassen. Antonetta wird schon ungeduldig, aber noch kann Doppelblau nicht davon lassen. Wie gern hätte er dieses Stück maritime Geschichte. Doch das kann er sich sicher nicht leisten. "Das ist auch unbezahlbar!" ruft Hasenmaus.

Lotte schüttelt die Löffel. Dieses Langohr ist doch ein Schande für die ganze Sippe. "Wollt ihr ihn nicht aufhalten?" Die alten Seebären sollten es doch besser wissen.

Die winken ab: Flunkern ist wichtig für die B-Note. Der kleine Leichtmatrose muss doch immer noch die Prüfung zum Seebären ablegen.

Im Laden gibt es immer noch dieses unentwirrbare Knäuel voller aufgespleißter Seemannsgarne, wo alle Geschichten durcheinander gekommen sind. Wenn man daran zieht, verschlingen sich die einsamen Inseln mit den Kannibalen und drücken auf die Weltumsegelungen. Oder man zieht den weißen Hai hervor, wenn es eine einsame Badebucht im Mittelmeer sein soll. Die wilde Fahrt um Kap Horn ist hoffnungslos mit dem Titanic-Eisberg oder dem Südseeparadies verknotet. Zerschneiden dürfen sie den Haufen Garnspliss nicht, aber so sind die Tampen eigentlich unverkäuflich.

Vielleicht sollte es den Besuchern zu denken geben, wenn sich ein kleiner Flunkerkobold aus dem Ostfernsehen hier so wohl fühlt.

In den glühensten Farben schildert Hasenmaus immer neue Gefahren der Hochsee-Schifffahrt, die nur der Laden mit seinen handlichen Schnüren jedem in seinem gemütlichen Heim bieten kann: Sturmfahrten im Krähennest, einäugige weiße Wale, die sich mit Riesenkraken um die Schiffe streiten. Aber auch männermordende Meerjungfrauen und wackere Feuerschiffe mit Leuchtfeuern – beide haben ja Sirenen – sind hier in diesen Erzählungen verwoben.

Doppelblau kann nur staunen. Er blinzelt so viel er will, er sieht immer nur ein blaues Band. "Ja, das können auch nur die echten Seefahrer sehen. Die mit Seemannspatent und Äquatortaufe mit Diplom." Wieso dann aber eine Hasenmaus das alles sieht, bleibt den echten Seebären ein einziges Rätsel. Ist der denn schon über den Gartenteich hinaus gekommen?

Auch Belly wird es zu viel. Er greift seinen Seesack, dazu ein wenig Tüdderband und heuert lieber auf dem nächsten Maschseedampfer an.

Das kümmert keinen großen Geist – auch wenn er in einem kleinen Seehasen steckt. Hasenmaus schwärmt weiter von seinem quasi unbezahlbaren Seemannsgarn. Er muss nur aufpassen, damit er es am Ende nicht doch wieder mit nach Hause nehmen muss.

Das geht doch auf keine Seekuhhaut! Der Geist der Sefahrt kann es nicht fassen, was eine Hasenmaus hier zusammenspinnt. Und dann die Gedanken so verknotet, bis in diesem Lügengespinst keiner mehr rausfindet. Das lässt ein geist sich nicht bieten und verschwindet wieder…

Sinclair zeigt sein öligsten Lachen, als Genni mit zweienhalb Klaftern bestes Seemannsgarn abzieht. Ihr ganzes Monatsgeld hat sie dafür gegeben. "Beehren Sie uns bald wieder." So leichtgläubige Kunden sind hier gern gesehen.

Antonetta hat Hasenmaus sein Seemannsgarn dagegen glatt für Umme abgeschwatzt. Aber braucht eine Kapitisse so etwas?

Genau untersucht die Anwärterin auf große Patente den neuen Schatz. Der Erzähltampen ist schon schick mit Goldband. Dass darin wilde Erzählungen über Schiffbruch, Verrat oder Untergang mit Mann und Maus verwoben sein sollen, mag sie kaum glauben. Und wenn dies auch nur eine keusche Version für junge Rättinnen ist? Mit säuseligen Südseeträumen, einem drolligen Seepferdchenballet und einem Bad mit fluffigen Badeschwämmen?

Vielleicht sollte sie selber den Laden für Tüdderkram aus aller Welt aufsuchen, um an die wilden Schnurren zu kommen.


Idee: SchneiderHein      Fotos: W.Hein

Ein weiteres Beispiel für den florierenden Einzelhandel, dem es immer wieder gelingt unseren Helden Angebote zu machen, denen sie nicht widerstehen können.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wow, so viel Seemannsgarn und so spannend erzählt! Das kann nicht nur Flunkern für die B-Note sein! Und dieser geniale Laden für maritime Kurzwaren und ein Wiedersehen mit älteren Helden und Seebären ;-)
Lieber Wolfgang, erstmal Danke für die raschen Rückkommentare und Danke auch für diesen wunderbaren Post und das Lesevergnügen! Ganz herzliche Grüße an Silke und dich, einen guten Start in die neue Woche und viel Gutgehen!

SchneiderHein hat gesagt…

@ Manu
Oh ja, da kommt wirklich alles zusammen: Von der Drückerfigur mit Pittiplatsch aus dem Erzgebirge, über Seemänner aus meiner Ebay-Sammlung, ein Stirnband, das ich mal Mitte der 70er trug und nicht wegwerfen wollte, sowie Teile der Geschenkband-Ansammlung meiner Mutter, die für gebrauchte Bänder eine Schublade hat. Und wie gut, dass ich mir zu meinem 50. Geburtstag damals diesen ersten Tischkaufladen geleistet hatte. Da hatten all' diese Dinge plötzlich einen guten Platz gefunden. Auch wenn ich im Moment nicht weiß, wo Pittiplatsch und die 3 Vero-Seefahrer abgeblieben sind ;-)

Auf jeden Fall lohnt sich das Aufheben von Krims und Krams, denn sonst gäbe es diese Geschichte nicht ...