Sonntag, 21. Dezember 2014

Falsche Hälse



Das ist ja interessant. Die Neue hat ja tatsächlich einen langen Hals. Das muss sich Gerome doch gleich mal näher ansehen.

"Aber, das ist doch eine Riesen-Gemeinheit!" Schon wieder nur so ein lustiger Buntlanghals. Der kleine Giraffenbulle ist enttäuscht. 

Sehr enttäuscht.  

Also so 'was von richtig wirklich schwer enttäuscht. 

 "Es ist eine Riesen-Gemeinheit, dass es – außer mir – hier nur Dekogiraffen gibt," ruft der kleine Bulle aus Leibeskräften in die Runde: "Eine De-ko-gi-raff-e!"

"Die tut nichts," schallt es zurück. "Ich weiß," ruft Gerome, "das ist es ja!" Natürlich tut die nix – außer harmlos grinsen.

Es ist doch immer das gleiche. Immer kommen nur diese Falschhälse aus Frottee ins Haus. Nicht ernst zu nehmen mit ihren bunten Getüddel. "Ich will echte Giraffen!" ruft der kleine Bulle in die Runde: "Warum gibt es hier nur haufenweise  Petzenherden?"

Anna liest im Buch "Weihnachten ganz wunderbar". Genauer gesagt, versucht sie darin zu lesen, wenn das Geschrei eines aufgeregten Langhalses sie nicht immer wieder aus der frisch gelesenen Zeile werfen würde. "Ist das eine Verschwörung gegen uns Giraffen?" Sie muss unbedingt diese Geschichte mit den fliegenden Weihnachtsmännern schaffen, wenn sie heute Abend – wie jeden Abend – den Kurzen eine neue Adventsgeschichte bei Kerzenschein vorlesen will. "Wir sind sehr empfindsame Tiere." Und Anna muss doch vorbereitet sein, wenn die kleinen Bären feststellen, dass die roten Weißbärte wie ein Sputnik mit Kopf-Propeller fliegen. "Sehr empfindsam – bei allem Langmut!" Die kurzen Petzlinge wollen dann sicher wissen, wie so ein Fliegen überhaupt funktioniert, wenn man nur ein sehr tieffliegendes Sputnik kennt.

 "Komm bitte, wenn du etwas willst!" Anna hasst es, laut werden zu müssen. Aber sie hat wirklich keine Minute, wenn sie fertig werden will. "Keine Zeit, ich muss aufpassen!" trompetet es von der anderen Seite.

Der aufgeregte Giraffenjunge hat wichtige Neuigkeiten, die er unbedingt noch loswerden muss: "Da gucken bunte Flitze aus dem Hals," ruft er so laut es geht: "Das ist doch keine Mähne. Höchstens eine Waschanleitung für Leseschwächlinge!"

Das ganze Herumbrüllen ist wirklich etwas anstrengend. Vielleicht sollte sich Gerome schnell das Megafon von der Dinoforschung ausleihen. Mit so einer elektrisch verstärkten Brüllhilfe könnte er sich viel besser mit Anna unterhalten: "Diese Buntkuh ist eine absichtliche, viel zu niedliche Verfälschung jeder aufrechten Giraffe."

Anna seufzt. Es ist ja sicher sehr hilfreich, wenn jetzt auch alle Nachbarn in der Siedlung über sich verniedlichenden Giraffenverfälschungen bestens informiert werden. Falls sich dort auch falsche Hälse einschmeicheln wollen. Aber kann sie nicht Ihre Ruhe haben? Sie muss noch eine ganze Seite vorlesen, um sie gleich besser vorlesen zu können. Und die Lesestunde für die kleinen Bären beginnt bald ...

Doch eine kleine, unverfälschte Giraffe will sich noch lange nicht beruhigen: "Das Vieh hat sogar ein Karo-Ohr! Als würden Ringelbeine nicht reichen."

 "Das ist doch langhalsiges Augenpulver, ein bunter Mustermix auf Stakelbeinen. Und dieses Fussel-Frottee-Fell!" Vielleicht sollte Gerome noch mal darauf hinweisen, wie enttäuscht er ist. Anna ist so still geworden.

Marie und RaffRaff wissen gar nicht, was der hektische Girafferich will. Was ist denn gegen Langhälse aus Frottee zu sagen? RaffRaff findet buntes Frottee besonders im Winter besonders praktisch. Es wärmt und einmal in eine Schneewehe gefallen, wird eine Knallfarbe viel schneller gerettet.

Das ganze Geschrei und Beschweren hat inzwischen Little Bear angelockt. Hier ist offensichtlich noch jemand etwas entrüstet. 

Der kleine Indianer hat hier schon länger sein Wigwam aufgeschlagen und wundert sich immer noch über die Jagdgründe hier im Wildwuchsgarten. Als er von Australien aufbrach, wollte er in den Wilden Westen. Nun vielleicht ist er westwärts zu früh ausgestiegen, denn wo sind zum Beispiel die ganzen Büffel? Da wäre er froh, wenn so ein Prärie-Rindvieh wenigstens als Frottee-Hippie mal vorbeischauen würde.

Drüben ist es endlich etwas ruhiger geworden. Das ist auch praktisch, denn Marie und RaffRaff müssen noch etwas genauer untersuchen. Überall, wo es im Hause schon weihnachtet, wird ordentlich was weg-ge-engelt. Die kleinen Flügelwichte hocken zwischen Tannenzweigen, stapfen durch Schneekisten und paradieren als Musikzug über die Fensterbank.

 Marie kennt sich ja aus mit den eifrigen Flügelwarten. Sie hat extra einen geflügelten Bärenschützer für ihr Dreirad bekommen. Damit ihr beim Pesen nichts passiert. Wenn hier jetzt so viele Schutzengel auf einmal gebraucht werden, muss Weihnachten ja höllengefährlich sein.

 Eine Pop-Giraffe ist kein Büffel. Aber vielleicht ist sie ja dennoch zu etwas nütze. Little Bear hat keine guten Erfahrungen mit Rollmustangs gemacht. Aber, wenn dieses Fusselreittier ihn auf der Büffeljagd tragen könnte, dann wäre es doch egal, ob es dabei ein Karo-Ohr hat. Bloß, ob die Wanderung der riesigen Büffelherden überhaupt hier lang führt? Hat die Giraffe schon mal wilde Bisons im Haus gesehen? "Hugh?" Der kleine Indianer erntet nur ein Schulterzucken, da hat Gerome auch keine Erfahrung.

 Little Bear findet den neuen Reituntersatz dann doch eher unpraktisch. Bei dem langen Hals verheddert sich doch immer der Flitzebogen, wenn er schnell von links nach rechts zielen will. Ob andere Indianer wirklich auf Giraffen auf Jagd gehen? "Heh, du Langhalsmustang, kannst Du deinen Hals mal vorstrecken?"

 Der hohe Hals wird nicht flacher, auch als der kleine Indianer kräftig daran zupft. Stattdessen verwandelt sich die ganze Buntraffe mit einem Plumps zum Bodenlieger. So geht das gar nicht. Soll Little Bear jetzt mitlaufen? Wo ist denn da der Vorteil eines Reittiers?

 So einen Frotteemustang kann kein Indianer brauchen. Little Bear muss sich schnell ein neues Reittier suchen, bevor die großen Bisonherden durch das Wohnzimmer ziehen. Der kleine Indianer will deshalb unbedingt weiter und weiter suchen. "Ich bin enttäuscht, Hugh!"

 Nun, Gerome kann inzwischen sehr gut mit dem bunten Fussel-Langhals leben. Wenn es hier nur noch Verfälschungen gibt, dann ist er doch ein echtes Einzelstück: "Ich bin und bleibe hier die Einzelgiraffe!" Wie gut, dass das jetzt auch die Nachbarn wissen.


Fotos: W.Hein

Little Bear und Gerome kommen von den Hampton Bears in Australien. Anna ist eine Bärin von Kathleen Wallace. Marie hat als Rica-Bärin schon länger RaffRaff unter ihre Fittiche genommen. Und der bunte Falschhals kommt aus der Bärenhöhle Hannover.


3 Kommentare:

kleine-creative-Welt hat gesagt…

Na Gott sei Dank ist die Geschichte nun am Ende gut ausgegangen - das ist aber wirklich eine tolle Entdeckung, dass Gerome nun ein Unikat ist - das muss doch ein tolles Gefühl sein - da kann er großzügig über das bunte zottelige Tier hinweg sehen -
Anna ist sicherlich auch froh, dass der Schreihals Ruhe gibt - ganz entzückend ist der Katzenpullover -

liebe Grüße an alle

Ruth

Anonym hat gesagt…

Das sind ja alles wieder wunderbare neue Abenteuer. Lesefreude ohne Ende, am meisten die Waschanleitung für Leseschwächlinge !! Liebe Silke, lieber Wolfgang, kuschelige Weihnachtstage, mal wieder ein rauschendes Fest an Silvester und alles erdenklich Gute und Positive fürs Neue Jahr wünschen euch herzlich Manu und die Münchner Bären :-)

heinwerken hat gesagt…

@ Ruth,
der Katzenpullover ist auch eine Supersonderanfertigung von Silkes Mutter. Unter dem Label "Chic in Strick" konnte man ihn schon früher bewundern. Der Pullover passt perfekt zu Maries Holzanhänger der Grinsekatze.

@ Manu,
dabei haben es Leseschwächlinge bei uns nicht leicht. Denn jeder Versuch, eine der Geschichten in den Google-Übersetzer zu gehen, offenbart, wie viele Worte der nicht kennt ... Wir werden es uns in diesem Jahr etwas einfacher machen und den ganzen Stress um den fliegenden Geschenketransport vom Pol und die rauschende Ballnacht zu Sylvester nicht aufs Neue dokumentieren. Sollen die Bären feiern, wir nehmen mit dank die Empfehlung kuschelig. Und freuen uns auf ein neues Jahr mit wilden Geschichten und so liebevoll ausgefeilten Kommentaren, dass es immer noch eine Drehung weiter gehen kann. Auch wir wünschen Euch ein gelungenes, gesundes und großartiges Jahr.

Wolfgang