Montag, 31. Oktober 2016

Schwirrende Gebeine



"Nein! Nein! Nein!" Die Stockspitze der kleinen weißen Maus pocht dazu den Takt ihres Missvergnügens. "Diese olle Schurkenorgel muss hier wieder weg. Das hat doch kein Gesicht." Die beiden Gebeinträger blicken verwirrt in die Runde: Da steht hinter ihnen doch nur das schnieke Harmonium.

So sieht das schon viel besser aus. Jetzt können sie endlich wieder an ihrer gemeinsammen Steppnummer arbeiten. "Eins – zwei – drei – tapp! Eins – zwei – drei – wieder tapp! Drehen – Hut tiefer drücken – den Stock leicht durchschwingen lassen." Und jetzt das Gleiche noch mal von vorn …

Die kleine weiße Maus hat sich dieses Jahr zu Hällowien etwas Besonderes ausgedacht. Mit einer Motorsäge kann jeder dahergelaufene bunt-maskierte Faxenmacher Angst und Schrecken verbreiten – doch mit einer Tanzrewüh mit lauter Klappergestellen im Rücken wird sie erst die Nachbarn fesseln. Dabei mit süßlichen Ändru-Leud-Webba-Liedern so schauern, dass die Hausbesitzer alle Schlickervorräten freiwillig rausrücken, damit sie mit ihrem Gruselmusikal weiterziehen. So weit der grandiose Plan … doch immer stört jemand die Probe. So kommt einfach dieser Riesenaffe und klimmpert auf dem Harmonium ziemlich schräge Harmonien. "Nein! Nein! Nein!"

Dann soll der Affe doch lieber gleich mittanzen. Und der ganz unheimliche Star dieser Rewüh nimmt dafür den orangen Hexenhut. Damit jeder sofort sehen kann, wo hier die Chefin die Pfoten schwingt.

Sie braucht mehr Tanzpartner, eine richtig lange Linie im gleichen Takt mit Stock und Zylinder. Also müssen acht Gerippe ihre Knochen schwingen. Nur mit dem gleichen Takt ist das ziemlich schwierig. Immer wieder klappert ein Stock auf das Parkett. Zum Glück fällt dabei nicht der ganze Arm ab. Wenig später stehen zwei Knochenschwinger ragend am Rand, wenn die anderen Gerippe sich gegenseitig zusehen, was denn das andere gerade so macht.

 Da ist noch die Frage der Schohtreppe zu klären: Es sieht immer großartig aus, wenn so eine lange Reihe Hutträger eine Treppe herunter tanzt. Doch auf der Freilichtbühne Straße, bei den Nachbarn, gehen die Haussteintreppen eher immer rauf. Das ist mühselig und hässlich. Vielleicht müssen die kleinen Gruselschrecker immer noch schnell eine Bühne aufbauen, bevor es beginnen kann. Wenn diese 'Koro' endlich sitzen würde, könnte sich eine kleine Maus auch um dieses Problem kümmern. Aber das muss warten – sie werden den großen Auftritt schon noch hinlegen.

Vorher muss die kleine Naseweiß noch einmal alles genau erklären. Und diese Hohlschädel müssen sich das auch mal merken. Das nach dem Tapp die Drehung kommt. Und alle drehen sich dann bitte in die gleiche Richtung.

So steppen die Gerippe noch eine weitere Runde und mühen sich durch die 'Koro'. Sie haben es fast – aber eben nur fast. Und müssen alles von vorn beginnen. Wie gut, dass blanke Knochen nie schwitzen.

Die kleine weiße Maus hat sich auf den Reschiestuhl zurückgezogen. Sie kennt ja ihre Schritte. Und außerdem ist sie der Star. Der kann sich auch mal ein paar spontane Eingebungen während der 'Koro' erlauben.

 Nebenbei kann sie der neugierigen Alice noch einige Hexenfragen beantworten. Wieso sie den Hut zweimal im Jahr aufsetzt – einmal zum Fliegen und einmal zum Süßkram sammeln. Die kleinen Schrecker sind immer dabei, doch richtig tanzen statt rumhopsen können sie nicht. Da sind sie einfach zu trampelig. Und viel zu ungeduldig, um die ganzen Tanzschritte zu lernen.

Das können Klappergestelle viel besser. Die haben ja vorher alle Zeit der Welt gehabt. Und wenn es erst einmal in Rippe und Knochen übergegangen ist, vergessen sie auch nicht sofort alles, nur weil das erste Schokodrops verteilt wird.

 Die letzten Durchläufe sind schon viel besser gelungen – da wird es Zeit für eine Pause. Pausen sind bei Tanzgerippen gewerkschaftlich geregelt und werden knochentrocken durchgezogen.

 Höflich lüpft der Knochenmann seinen Zylinder: "Chefin, brauchst du uns noch?" Die kleine weiße Maus winkt hastg ab. Sie erklärt Klein-Alice gerade, warum nur mit Musik und Tanz die größten Mundraubzüge gelingen … 

"Wir gehen dann mal in die Kantine und kippen uns was hinter die Binde." Hoffentlich denkt jemand an den Feudel zum Aufwischen, denn das Binden-Kippen ist bei Gerippen auch für die Umgebung immer etwas feucht.


Fotos: W.Hein

Die kleine weiße Maus und Klein-Alice sind Nager von Deb Canham. Sie werden sicher noch die eine oder andere Generalprobe ansetzen, bis unsere Nachbarn in den Genuss eines Hallowien-Grusical kommen.