Samstag, 28. März 2015

Wegelagerei



Seit einiger Zeit ist die halbe Dinoforschung jeden Morgen verschwunden. Der grüne Samtosaurus schüttelt matt den Kopf, als er wieder und wieder den Steg lang tappt. Der lange Dinoschwanz wippt traurig hinterher, wenn er dabei eifrig nach rechts und noch eifriger nach links ins Buschwerk blickt. Doch nirgendwo blitzt da ein Linusfellflitz oder es kräht jemand, dass das jetzt die weltgrößte Entdeckung sei: So für den noblen Preis oder das Titelbild im nächsten 'Welt der Wunder'-Heft. Nichts von alledem hört ein Samtosaurus – der allerbeste Dinoversteher auf Erden ist wie vom Erdboden verschluckt.

Der weltberühmteste Großechsenforscher aller Zeiten hat keine Zeit für traurige Samtosauren. Er hat eine Karte gefunden, auf der sicher alles Mögliche und vielleicht sogar Unmögliche drauf steht, wenn bär sie bloß entziffern könnte.

Doch wie er sie auch dreht und noch mal dreht. Die Karte auf den Kopf stellt und dabei ganz gewichtige Knicke macht. Er findet in dem Liniengewirr nicht den Garten und noch schlimmer – er weiß nicht, wo auf der Karte sein nagelneues Tarnzelt zur Dinobeobachtung steht. Dabei hat der kleine Bär sich von Lausebär extra dieses Tarnversteck im Garten aufbauen lassen. Ein Kugelzelt mit ganz vielen krakeligen Unbunt-Flecken, damit der Dino es erst sieht, wenn es viel zu spät ist, weil die Dusselechse direkt davor steht.

Doch dann hat die weltbeste Dinoforschung den hoffentlich noch unbekannten Saurier schon entdeckt und darf ihm einen neuen Namen geben, seine Knochen zählen und andere tolle Dinge machen. Linus liegt im Zelt inzwischen wieder auf der Lauer hinter dem Fliegennetz. Das macht er schon seit Tagen, hört aber immer nur etwa, das es raschelt. Wenn er endlich entdeckt hat, was da so raschelt, ist es bisher nur eine blöde Drossel beim Nestbau. Er ist doch kein mickriger Vogelkundler! Dann brummelt er eine Weile missmutig auf seinem Beobachtungsposten und wartet weiter. Die Dinos brauchen wohl noch länger, bis sie hier vorbei kommen. Vielleicht haben die ja auch nur so einen unbrauchbaren Lageplan. Sein Zelt ist halt so gut getarnt, dass es noch nicht einmal so einer Karte finden kann.

Da ist schon wieder dieses Rascheln – doch dieses Mal, als der kleine Bär aus dem Zelt stürmt – sieht er erst einmal nichts. Noch nicht mal so einen Drosselspezi. Da muss die weltbeste Dinoforschung noch viel länger herum lungern und immer neue Löcher ins Dickicht starren.

Der weltgrößte Echsenentdecker ist im Zelt wieder in Lauerstellung gegangen und wartet auf das nächste Rascheln. Stattdessen hört der allerbeste Auflauerer des bekannten Universums nur ein lautes Johlen, denn der Samtosaurus hat endlich das ach so geheime Tarnversteck der verschwundenen Dinoforschung entdeckt. 

"Psst! sonst sind sie wieder weg." Linus hatte ganz vergessen, wie lärmend so ein australischer Stoffsaurier sein kann. "Wer?" will Delwyn sofort wissen. Da hätte er auch gleich das Megafon mit bringen können, so dröhnt es aus dem samtgrünen Bauch. "Leiser, sonst werden wir hier nie einen Dino sehen."

Dabei hat sich der kleinen Bär bestens vorbereitet. In den Rucksack hat er ganz viele Fruchtgummi-Hamburger gestopft. Und bis jetzt nur ganz wenige genascht. Zum Glück hat der Futterbeutel auch ein Tarnmuster. Damit nicht jeder sofort sieht, dass hier leckerer Forscherproviant wegschnabuliert werden könnte. 

Heute ist der großmächtige Dinoforscher großzügig. Delwyn bekommt zur Feier des Wiedersehens einen ganzen Gummiburger. Obwohl Linus noch nicht einmal weiß, wie lange die Vorräte noch halten müssen. Bis jetzt hat es ja nur geraschelt und er hat noch nichts Unbekanntes gesichtet, um es bekannt machen zu können.

Dabei hat er sogar einen Schlafsack, damit die Nächte nicht so kalt werden. Aber bis jetzt hat Anna die weltbewegende Dinoforschung jeden Abend immer eingesammelt und ins Bett gesteckt. Aber nach dem ersten Honigbrot ist Linus wieder auf die Pirsch gegangen und hat hier Lauerstellung bezogen.

Der Platz ist mit Absicht gut gewählt: Hier treffen zwei Wege aufeinander und der Holzsteg als große Gartenrennbahn ist auch ganz in Nähe. Wenn überhaupt, dann kommen die Urzeitechsen sicher hier vorbei. Denn warum sollten sie sich die Mühe machen, mühsam durchs Unterholz zu brechen, wenn es ein gut ausgebautes Wegenetz gibt?

Der Samtosaurus will sofort auch bei dieser Wegelagerei mitmachen. Endlich ist die Dinoforschung wieder vereint. Und bevor Linus lange protestieren kann, presst sich die ungebremste Pummelechse an ihm vorbei durch die enge Zeltöffnung.

"Heh, pass auf, wohin du deine unegalen Tatzen setzt. Das ist meine Schnauze!" Es rumpelt Zelt. "Nicht auf die Fressvorräte treten!" Es pumpelt im Zelt. "Aua, das ist mein Dinoschwanz!" "So wird das nichts." Das Rumpumpeln will gar nicht aufhören: "Mach dich nicht so fett!" "Mach ich doch gar nicht, das ist nur das Echsenkostüm."

Noch haben der oberwichtige Dinoexperte und der grüne Samtosaurus noch nicht ihren Platz gefunden. Immer wieder pufft eine Pfote gegen die Zelthülle, kullern beide noch einmal übereinander. Dabei schwankt die ganze Tarnhülle, sogar die Pfosten an den Ecken beginnen zu tanzen … und dann ist es geschehen.

"Ich hab ja gleich gesagt: So wird das nichts." Linus ist sauer auf diese ungestüme Echsenseite der Dinoforschung. Kaum ist der Samtosaurus hier aufgetaucht, ist das ganze Zelt zusammengebrochen. So kann doch kein obermotziger Saurierexperte arbeiten. Erst dieser Lärm und dann ist auch noch der Guckposten platt …

Da muss erst Lausebär helfen, das Zelt wieder aufzustellen. Kleine Bären wissen in der Regel, wie etwas gut auseinander geht. Aber diese blöde Zusammenbauerei ist dann immer viel schwieriger. So haben sie die wirklich wichtigen Dinge zusammen gerafft – die Vorräte, den Schlafsack und de große Karte. Den fummeligen Kleinkram lassen sie lieber den großen Bären machen.

Der steckt gerade wieder das Dach zusammen, bevor er ächzend die Stange nach unten biegt, um den ersten Bogen zurück in die Lasche zu fädeln. Eigentlich hat sich der große Bär gewundert, dass es tagelang gut gegangen ist. Er hatte mit dem ersten Zeltzusammenbruch schon viel eher gerechnet.

Trotzdem ärgert er sich ein wenig, dass er gerade alles allein reparieren kann und die beste Dinoforschung höchstens gute Ratschläge für ihn hat. Oder die Innenausstattung die ganze Zeit festhalten muss – statt ihm mal eine helfende Pfote zu reichen. So werden die Kleinen nie lernen, wie sie das Gestell auch ohne seine Hilfe aufbauen können.

Endlich ist der Beobachtungsposten wieder einsatzbereit. Lausebär soll jetzt keine wichtigen Forschungsdinger noch länger verscheuchen. "Du musst sofort gehen!" Schnell haben Linus und Delwyn danach die Ausrüstung eingeräumt, damit keine verräterische Spuren sie draußen verraten. "Ist das jetzt nicht doppelgemoppelt?" "Nein, das ist nur sehr genau gesagt!" Diesmal ist sogar der Samtosaurus im Zelt gelandet, ohne alles erneut einzureißen. Nun können die Dinos endlich kommen.

Es kommt aber nur eine Marie im Katzenpullover und mit Giraffe unterm Arm vorbei. Die Marie kennen beide doch schon. Das ist doch nichts Besonderes. Vielleicht helfen jetzt ja die Tarnflecken am geheimen Guckposten und eine nervtötende kleine Schwester rennt einfach vorbei.

Doch Marie rennt nicht vorbei, sondern will gleich so nervige Dinge wissen, wie: "Was macht ihr da?" und: "Wieso quetscht ihr euch wie die Presswürste zusammen?" menno: "Weiß Anna, dass ihr hier auf den Blumen hockt?" Das ist doch egal. Offensichtlich muss man kleinen Schwestern aber auch alles erklären: "Wir sind quasi unsichtbar. Das können wir beweisen – wir haben eine Karte, da sind wir nicht drauf. Und das soll auch so bleiben: Also verschwinde endlich. Mit deinem orangen Feuermelderpullover könnten wir gleich eine blinkende Warnleuchte aufstellen. Damit jeder sieht, das wir hier hocken! So kann man doch niemanden belauern oder hinterhalten!"

"Komm Raffraff, wenn wir hier stören, können wir auch gehen!" Marie weiß zwar immer noch nicht, wer hier am Hintern gehalten wird. Aber kleine Schwestern oder rote Frotteegiraffen sind es offensichtlich nicht.

Glück gehabt, die wandernde Signalboje ist wieder weg. Und die Dinoforschung wieder ganz heimlich. Die Aufregung hat hungrig gemacht und der grüne Echsenbär schlingt schnell noch einen leckeren Fruchtburger runter. Na hoffentlich reichen jetzt noch die Vorräte. Linus hatte nicht mit so verfressenen Hilfsspähern gerechnet. "Das langt jetzt aber!" "Isch musch doch," presst der Samptosaurus mit vollen Backen, "verhinnern, dasch mein Magen immer wieder so laut knurrt." Sonst hätte er ja auch gleich das Megafon mitbringen können.

So lässt es sich auch zu zweit in der Tarnbutze aushalten. Nur wozu ist das hier ein Beobachtungsposten, wenn es nichts – außer langweiligem Grün – zu beobachten gibt? Wo sind denn nun die Dinos, für die sie diese ganze Wegelagerei hier machen?


Fotos: W. Hein

Diese Dinoforschung, das sind schon echte Jungs. So haben Lausebär und Linus (beide Rica-Bären) das Zelt mitten auf den neuen Lenzrosen-Schösslingen aufgebaut. Da war doch nichts, was wichtig aussah. Und auch nach dem Getümmel mit Delwyn (Hampton Bear) steht der Aussenposten wieder auf den zarten Nieswurz-Trieben. Sehr zum Leidwesen von der wirklichen Aufsicht im Wildwuchs, die sich über so viel Jungen-Ignoranz nur beklagen kann. Da sind Marie (Rica-Bärin) und eine flinke Palaeopluschie-Besucherin schon sehr viel rücksichtsvoller im Grün unterwegs.

Ach ja, die Dinos … die entdecken gerade im Wildwuchs den Untergang der schwarzen Blechvögel. Vom Rostfraß schwer gezeichnet, wanken diese schon zaghaft auf zittrigen Stelzbeinen.


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