Freitag, 19. Dezember 2014

Stachelige Flieger



Ein kleiner Stachelmann wandert durch den Garten auf der Suche nach den reichen Pilzplantagen. Mushroom möchte seinem englischen Namen endlich alle Ehre machen und die ganzen rotköpfigen Hutlinge einsammeln, die man ihm schon in der Bärenhöhle versprochen hat. Da entdeckt er ein Propellertier, das geschäftig vor sich hinsummt.

Das Sputnik befindet sich gerade mitten in den Startvorbereitungen. Der Propeller ist hoch ausgerichtet und klar zur Geschwindrotation. Die Seitenruderohren sind schon ausgefahren und klappen in den richtigen Anstellwinkel für den raschen Aufstieg. Jetzt muss das rote Fusseltier nur noch den Kopf leeren und die leichtluftigen Gedanken für den Start erhaschen. Da merkt es gar nicht, dass plötzlich jemand das Sardinenfahrgestell entert.

Das Sputnik schreckt erst aus der Startroutine auf, als plötzlich hinten etwas in die Blechschale plumpst. Und so ein leichtes Pieksen und Stacheln im Rücken drängelt sich in den luftleeren Kopf. So macht der Propeller auf dem Kopf nur einen leichten Mucks, und dann sind die ganzen schönen Fluggedanken wieder entschwunden, eh sie ein Sputnik zum Loslassen richtig fassen konnte.

"Ich habe einen blinden Passagier!" schießt es dem Dosenflieger durch den Kopf. Vor Schreck macht der Propeller zwar noch eine halbherzige Umdrehung, doch die Steuerohren klappen nur noch unkontrolliert auf und ab.

"Von wegen blind," entrüstet sich der kleine Igel. "Ich kann sehr gut gucken," Entgeistert springt das Sputnik in die letzte Ecke. Auf Bordgespräche ist es nur wirklich nicht eingestellt. Das stört den Fluggast überhaupt nicht: "Das muss ich auch, denn ich suche saftige Pilzauen, die sich in den wilden Gartenbeeten verstecken. Die kann man sicher aus der Luft viel besser orten." Das geht doch nicht – die Gedanken im armen Sputnikhirn rotieren. Die Gedanken – nicht der Propeller! Aber: "Ich fliege mit und brauche noch nicht einmal eine Saftschubse!"

"Ich ... äh ... ich kann so nicht fliegen!" Das muss der unverschämte Spitzhut doch verstehen. Wenn er nicht so einen Kopfhemmer tragen würde, hätte er doch Platz für einen eigenen Propeller. Doch das stachelige Übergewicht hat offensichtlich keine Ahnung von der Fliegerei: "Wenn wir schon am Boden bleiben, ist das komische Silberding auf dem Kopf dann wenigstens zum Pesen zu gebrauchen? Diese Blechdose hat doch immerhin Räder!" Dann kommt der Pilzsammler schneller zu den Beeträndern, als ihn die kurzen Stummelbeine tragen. "Also Kopf in den Nacken und Vollgas bitte!"

Das reicht, da stehen dem roten Flugtier doch zitternd die Gesichtshaare in alle Himmelsrichtungen: "Ich bin Einzelflieger! Und kein Lufttaxi!" Wenn da jemand ständig Bordunterhaltung will, klappt das mit dem Fliegen nie. Mushroom wundert sich, warum es dann so ein geräumiges Zweipersonen-Fahrgestell gibt. "Das ist egal. Ich brauche die Leere. Im Kopf und in der Dose!"

"Ja, ja ... noch ein paar Schritte ... so ist es fast gut." Mit hastigen Armbewegungen dirigiert das Sputnik den Igel über die Betonfläche. Widerwillig ist der ungebetene Flugbegleiter wieder aus dem Blechflieger geklettert und folgt den Anweisungen auf dem Flugfeld. Denn jetzt will er sehen, wie der rote Fusselpilot abhebt. Was ist den an dem bisschen Gedankenfliegen so schwierig?

"HnnGnn, HnnnGnnnn, UmmmHnnnGnnnn-Jiiiiek!" Das Sputnik ruckelt am ganzen Fahrgestell und hascht jedem fliehenden Fluggedanken hinterher: Den Kopf leeren, an nichts denken, nur an das Abheben – da sind keine bohrenden Blicke im Rücken – alles ist ganz leicht, ganz leicht – scharrt etwa ein Fuß? – die silberne Luftschraube dreht sich, dreht sich, dreeeeht sich! Nun beweg dich endlich, du Schraube des Schreckens!

Es ist ... es ist ... es ist verflixt. Um so mehr das Sputnik diesem frechen Flugbeschauer davon fliegen will, um so mehr es versucht, das Fliegen schwer denkend herbei zu zwingen, um so schneller entfleuchen die leichten Gedanken und der Kopf füllt sich mit schwerem Ballast, der als geistiges Übergepäck den Flieger auf den Boden zwingt. "HnnnGrmmmblGnnnGnnnnnnnn."

Ermattet gibt das Sputnik diesen Startversuch auf. Es macht einen kurzen Moment Pause und vertreibt dann hoffentlich diesen Spuk. Der rote Fusselflieger wird es diesem dreisten Fliegenpilz schon zeigen ... gleich ... nur noch ein wenig verschnaufen ...

"Heh! Was soll das?" Es wollte doch gleich los fliegen und jetzt kommt dieser Flugzeugbesetzer schon wieder an Bord. "Das wird heute wohl kein Flugtag. Und die Pilze sind morgen auch noch da," entscheidet der kleine Stachelmann. "Da sitzt es sich gemeinsam in der Dose doch viel lustiger. Wir sollten sie nur noch ein wenig verschieben. Dann haben wir beide einen Platz an der Sonne."


Fotos: W.Hein

Das Sputnik und Mushroom kommen beide aus der Bärenhöhle Hannover. Das rote Fusseltier war nur schon davon geflogen, bevor der kleine Igel ankam. So mussten die beiden erst auf ein Treffen im Wildwuchsgarten warten, um gemeinsam in einer Blechdose zu sitzen. Die wird so wohl niemals abheben. Mushroom ist von Anna Aleksieva und das Sputnik von den keuns & bears,


2 Kommentare:

Monika + Bente hat gesagt…

Ihr Lieben!
Ihr veröffentlicht so wunderbare Geschichten - für Groß und Klein - dass ich jedes Mal wieder sehr angetan und fasziniert bin, denn ihr bebildert die Geschichten in sehr hoher Qualität mir äußerst viel Aufwand und Fantasie, dass es mir jetzt zu schade ist zum Überfliegen - ich hebe mir diese Geschichte für das Wochenende auf.
Liebe Grüße - und mit dem höchsten Respekt vor dieser engagierten Arbeit - Monika

kleine-creative-Welt hat gesagt…

wie köstlich ist das denn? Eine Sardinendose - der stachlige Geselle ist so niedlich (sorry ich meine natürlich furchterregend) - grins

liebe Grüße - Ruth