Montag, 11. März 2013

Mauselärm



 Heute ist der Ruderwagen nicht schnell genug. Von hinten nähert sich immer lauter ein Trippeln und Murmeln. Jack zieht noch einmal fest am Griff des Parkettflitzers.

Schon hüllt ihn das Stimmengewirr ein und dann ist es auch schon wieder vorbei. Die Maus mit dem Matrosenkragen wird überholt von ein Schar aufgeregter Nager, die keine Zeit für ihn haben und nur, so schnell die flinken Füße tragen, vorbeieilen.

Schon bleibt Jack zurück und zieht wieder eifrig am Antriebshebel des Wagens. Er eilt den Mäusen hinterher, will wissen, wohin sie wollen. "Wartet auf mich! Ich will mit!" Doch er wird sich mehr anstrengen müssen, wenn er den Anschluss halten will, denn die kleinen Pelznasen werden nicht langsamer.

 Eine kleine weiße Maus stöpselt inzwischen den Stecker ein. Sorgfältig zielt sie, bevor sie den Bananenstecker in die Silberbuchse drückt. Dann steigt sie auf den winzigen Hocker.

 Sie muss sich recken und auf die Zehenspitzen stellen um an die Regler zu kommen. Der winzige Naseweis dreht die Lautstärke am 'maus-o-ton' Verstärker ganz nach oben. Dann kommt noch Hall und eine Spezial-Jaulofonissimo-Einstellung, die nur das Modell 'Katzenjammer 3000' hat.

Der alte Flügel bekommt einen kräftigen Tritt. Scheppernd rutscht er von der Bühne und bleibt klagend wie ein waidwundes Tier einfach liegen, bis das Saitengestöhne endlich abgeklungen ist. Eine begnadete Meisterklimperin braucht kein leise säuselndes Piano mehr. Sie will gehört werden.

 Sie wird jetzt eine Gitarrengöttin und lässt die Saiten aufheulen. Glimmer-Rock heißt ihre neue Musikmode und das kleine Tier wird nie wieder leise sein. Mit weiten Armschwüngen kreist sie über die Saiten, bis die Tönen ineinanderlaufen und alles ein einziger wütender elektrischer Aufschrei wird: "Yeah!"

 Das Sputnik unterstützt die wilde Maus. Es bleibt gern im Hintergrund und gniedelt versonnen über Riffe und Griffe am Gitarrenhals. Was Bünde oder Stege sind, weiß das rote Fusseltier noch nicht, aber der Wille zum Dauerstakkato ist doch schon etwas wert. Harmonie war gestern, heute ist Haltung alles. Auch wie man die feuerrote E-Gitarre hält und dabei eine angesagte Sonnenbrille trägt ... besonders in abgedunkelten Räumen.

 Die kleine Mäuse kommen zusammen und drängen sich immer dichter an die Bühne. Das wollen nicht nur die Konzertpraktikanten hören. Die werden jetzt natürlich zu Rohdies befördert. Jetzt schleppen sie Boxentürme und Kabelbäume. Dazu noch Flutlichter und Starkstromverstärker. Auch Jack ist inzwischen angekommen und schiebt sich aufgeregt zwischen den wogenden Leibern nach vorn.

"Yoh!" Knapp grüßt die weiße Maus, der neue Stern am Rockfirmament, ihre Fans, deutet nur eine kurze Verbeugung an, bevor sie zum nächsten Solo aus perlenden Gitarrenläufen und überschnappenden Harmoniesprengseln ansetzt. Rau, laut und ungestüm dröhnt die Tonwolke aus den Verstärkern, ballt sich unheilvoll über der Bühne zusammen, bis sie auf das erwartungsvolle Publikum einschlägt.

 Dieser Mausebande sollen endlich die Ohren wegfliegen. Wenn die Gitarrenheldin ganz dicht an die Boxen springt vervielfacht sich Rückkoppelungsgeheul, dann lässt sie die E-Klampfe tief dröhnen, wie ein aufgebrachter Hornissenschwarm, und wenn sie die Gitarre eifrig schwingt und schwenkt, jaulen die Töne schön auf und wimmern noch lange nach.

Nelleke hört die Signale. Sind ja auch nicht zu überhören. Und es hört sich nach einem Riesenspaß an. Das wäre es doch voll gemein, wenn sie da nicht dabei wäre. Sie muss sofort 'die Plagegeister' wieder zusammenrufen. Dann wird es richtig laut werden.

 Das weiße Boxenluder gibt alles, was die E-Jaule hergibt. Langsam schält sich ein Rhythmus aus dem Tongewirr. Das Sputnik beginnt, immer wieder die selben Saiten zu zupfen und findet eine aufsteigende Tonfolge, die es jetzt glücklich wiederholt. Die kleinen Nager vor der Bühne sind beeindruckt. So viel Lärm, in dem eine kleine Melodie versteckt wird. Das ist doch schon etwas Besonderes, das sie hier erleben dürfen. Davon werden sie noch ihren Enkeln erzählen können. Na wohl eher anschreien, denn im Moment klingeln ihnen die Ohren. Sie werden wohl nie wieder etwas hören müssen, dass unbedeutender klingt als ein donnernder Expresszug, der kreischend in einem Tunnel eine Vollbremsung hinlegt.

Ganz schnell sind die Bärenmädchen und ein Navi bereit. Sie haben die schrägen Kreisch-Gitarren von der Weihnachtsfuhre des alten Seebären mitgebracht. Der alte Zausel hat zwar nicht den Pol gefunden, dafür aber drei Plastikinstrumente mit tollem Schräbbelsaunt. Da haben sie gleich 'die Plagegeister' gegründet und mehrere Tage eine ganz besondere Musik gemacht, bis Anna sie in den eiskalten Garten schicken wollte.

Larissa jault und heult mit der kleinen Maus um die Wette. Sie kann drei Tasten auf ihrer Plastequetsche drücken und dann kommen fertige Fetzen von einem ganz dreckigen Gitarrengedröhne. Und wenn sie ganz schnell ist, kippen die Töne ab und verscherbeln miteinander.

 Pah! Diese kleinen Plastikgitarren aus der Hamburger-Bratbutze mit den paar schiefen Tönen sind doch keine Begleitung für die weiße Frontmaus mit ihren ausufernden Gitarrenläufen und beinah endlosen Soli. Die Gitarrengöttin schimpft wie ein Rohrspatz. Die Plagegeister sollen sich wieder dahin verziehen, wo scharfe Gewürze wachsen oder wenigstens ihren Kinderkram still halten. Nelleke schnupft: "Menno, Alte! Nicht jammern sondern jammen!" Doch die kleinste Rockröhre mit einem Riesen-Ich bleibt dabei: Diese Bühne ist zu klein für ihre Kunstgriffe und dem Rumgemache ungeübter Bärennachwuchs-Mucker.

 Als die Bären endlich murrend abziehen, kündigt der Star das nächste Stück an. Im Hintergrund hüpft noch die Dauerschleife der kleinen Melodie des Sputniks, als der Hall der Rückkopplung des letzten Mause-Solos langsam abebbt. Die Fans vor der Bühne reiben sich verwundert Augen und Ohren. Doch dann hüllt sie alle gemeinsam wieder in eine wohlige Wolke von Luxuslärm ein. Der dringt bei jeder einzelnen Maus durch den ganzen Körper. Allein wäre so ein Zwerchfellgeschüttel und Magendreher vielleicht blöd, aber so schweißt es die Mause-Masse zusammen. Das sind eben diese Abenteuer, von denen man noch vor den Enkeln rumkrakeelen kann.

 Dann sind die Plagegeister wieder da. Diesmal haben sie einen tief brummenden Boxenturm mitgebracht und echte Gitarren. Das Navi behält lieber seine Handschuhe an, bevor es sich die Pfoten blutig spielt. Denn jetzt wollen sie es endlich krachen lassen. Das heißt ja wohl, wer zu erst still ist, verliert.

 So lärmt es sich viel besser und die Plagegeister dürfen als Verstärkung mitmachen. Sie nehmen rechts und links von der Mausebühne Aufstellung und dann feuern sie heftige Klangsalven aus ihren elektrischen Musikschleudern. Die Boxen vibrieren schon, weil so viele Töne auf einmal herauswollen. Das Nagervolk vor der Bühne wird fast weggeblasen. Das wäre nicht so schlimm, sie könnten an jeder Stelle des Raums alles hören. Hören? Häh?

"Ich kann nichts dafür!" Der alte Seebär schüttelt energisch das Haupt. Er nur diese drei kleinen Minigitarren mitgebracht. Woher das ganze andere Musikgedöns herkommt weiß er doch auch nicht. Anna murmelt etwas von Geistern, die gerufen werden. Doch das versteht der alte Zausel jetzt nicht. Er hat sich jede Menge Ohrenwatte in die Gehörgänge gestopft. Und es reicht immer noch nicht!


Fotos: W. Hein

Deb Canham kennt das gesamte Mausevolk. Und umgekehrt, wie eine kleine weiße Maus immer gern betont. Nelleke und Larissa sind Rica-Bären und das Navi kommt von den Bären aus dem Fleckerwald. Anna  stammt aus den USA von Kathleen Wallace. Das Fell des alten Seebären ist zwar aus Südafrika, aber seine Schöpferin Ulrike Amadori wohnt dagegen doch eher um die Ecke. Ups, jetzt hätte ich fast ein Sputnik von 'Keuns and Bears' vergessen, dass mit dem Muppettier vielleicht den Friseur teilt, aber eigentlich wie ein Späthippie nur vom Abheben träumt.

So wie Anna fühlt sich wahrscheinlich immer Silke, wenn Herr Hein irgendetwas in die Finger bekommt, was Töne machen kann. Das Klingeltestbrett im Baumarkt, der singende Roboter im iPad oder wichtige Produkttests mit Fieporgeln oder Wowee-Wimmergitarren. Und dann sind dann auch zwei graue Katzen immer etwas pikiert ...


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zuugaaabe! Das groove-t und funk-t ja gewaltig auf dieser Dschämsäschn, kein Wunder bei den Verstärkern und Boxentürmen. Und dann zwei echte Rockladies auf der Bühne: Die weiße Gitarrengöttin mit ihrer Band und Nelleke, die coole Rockerbraut als Frontfrau der Plagegeister! Wir haben sofort einen Fanclub gegründet und noch ein paar Fragen, bevor die heißen Gitarrenriffs unseren PC zum Durchglühen bringen:
Müssen wir uns Sorgen um Sputnik machen, er sieht nach Sex Drugs und einem zerlegten Hotelzimmer aus?
Braucht ihr noch Rohdies ... oder Grupies?
Sollen wir für Tournee schonmal die Olympia-Halle reservieren?
Wie immer LG und ;-)) von den Münchner Bären

Monika + Bente hat gesagt…

So eine liebevolle Zusammenstellung -ich bin ganz und gar angetan.
Ich schnüffel noch mal weiter - bis später.
Liebe Grüße!

SchneiderHein hat gesagt…

@ Manu
Ja, hier gab es reichlich Zugaben. Die Mäuse & Mädels waren außer Rand und Band und konnten gar nicht verstehen, dass Anna und der Seebär nach ein paar Tagen die Band-Utensilien verschwinden ließen. Darum keine Sorge ums Sputnik. Und die Olympia-Halle muss leider noch etwas warten. Der Seebär & Anna müssten zur Zeit mit auf Tournee. Aber so viel Ohrenwattegibt es nicht :-(

@ Lady Bente und Anhang
Die Story ist für Deine guten Ohren doch bestimmt viel zu laut ;-) Aber hier findest Du ja auch noch andere Geschichten, die weniger Lärm machen ...

Calendula hat gesagt…

Jawoll! Das rockt! Erinnert mich so an alten Zeiten! ;-)
LG Calendula

heinwerken hat gesagt…

@ Calendula,

Yeah! Kleine Mäuse und Bären entdecken gerade die ewige Chance der Jugendrevolte durch richtig laute Musik. Wenn die richtige Haltung wichtiger ist als eine vollendete Harmoniebeherrschung.

LG Wolfgang (und Silke)