Montag, 28. Mai 2012

Briefverkehr

Der Abspann ist diesmal das Vorwort:

Im Jahr 2006 hatte BRIO, der schwedische Erfinder der Holz-Schiebe-Eisenbahn wohl das Gefühl, endlich im 21. Jahrhundert ankommen zu müssen. Was würde passieren, wenn Kinder keine Dampfloks mehr aus eigener Anschauung kennen werden? Würden sie dann immer noch als Erstes Lokomotivführer werden wollen? Also wurde bei BRIO mit viel Aufwand und Liebe zum Detail die Networker-Welt entwickelt. Das Innenleben des Computers mit E-Mails, Laserbrenner, Mülleimer, Virensuchprogramm und natürlich auch mit Viren, Pop-Ups und anderen Schädlingen wurde auf die klassische Holzeisenbahn gesetzt. Die Basis ist immer noch Holz, dazu kommen aber jede Menge Soundmodule, Magnete, Diodenlichter und Elektroschnickschnack. Das ganze Abenteuer hat ca. zwei Jahre gedauert, es gab noch einmal neue Viren 1.5, eine Quarantänestation und, wenn die kleinen Networker von der Arbeit jetzt müde waren, konnten sie sich in kleine bunte Kastenhäuser mit Puschelhaustieren zurückziehen. 

Aber es scheitert am Ende doch wohl am Widerspruch zwischen der pädagogisch wertvollen Holzschieberei und dem netzafinen virtuellen Leben der anvisierten Zielgruppe. So werden die Networker-Pakete überall inzwischen nur noch abverkauft und BRIO hat sich neuen Welten zugewandt. Es ist wohl wirklich zu schwierig, neue Figuren in das Kinderzimmer zu bringen, wenn man mit Mickey Maus, Star Wars und den Transformers konkurrieren muss. Dabei sind die Networkers perfekt gearbeitet und bis ins letzte Detail liebevoll mit eigenen Logos, Beschriftungen und Eigenschaften ausgestattet worden. 

Bei der kurzen Laufzeit mussten die Networkers auch nie die nächste Klippe der schnelllebigen Computerwelt nehmen. Wer weiß schon in ein paar Jahren, was ein DVD-Brenner im Computer ist, wenn es schnelle USB-Sticks gibt und die Daten am Besten irgendwo in der Cloud liegen? Dann landet man ja schon wieder beim Dampflok-Problem und das jetzt alle fünf Jahre.

Die kleinen Bären (alles Rica-Bären) interessiert das alles herzlich wenig, weil sie einfach gern bunte Wagen durch den Garten schieben. Und die kleine weiße Maus, die Deb Canham persönlich kennt (oder es ist doch umgekehrt), drückt begeistert auf alle Knöpfe und lässt alles fiepen, fiepen und quäken, was die ganze Technik hergibt.

Doch jetzt geht's endlich los:


Das ist Emo. Emo ist ein Ihmeil-Bote. So ein Ihmeil-Bote ist ein elektrischer Postbote für Briefe mit Stromanschluss.

Marie erklärt Raff-Raff das alles ganz genau. Obwohl ... so ganz klar ist es der kleinen Bärin auch nicht, was so ein Strombrief ist. Denn die Postboten, die zu ihnen ans Haus kommen, sind alle offensichtlich freilaufend und haben auch nie ein Stromkabel mit Stecker dabei. Haben die ein Batteriefach?

Die Postboten da draußen haben Fahrräder oder ganze Autos, doch Ihmeils brauchen Leiterbahnen, um verschickt werden zu können. Also baut Marie für Emo diese Leiterbahn aus Holzschienen im Garten auf. Das ist voll schwierig, weil diese Leiterbahn nirgends unterbrochen sein darf. Sonst gehen die Briefe irgendwo im www verloren, dem wuchernden-wild-wuchs.

Der Briefzug mit zwei Anhängen ist schon aufgegleist, während an der Poststrecke noch eifrig gewerkelt wird. Zum Glück hilft Nelleke beim Bauen und probiert gerade, wie eng die nächste Kurve werden muss, damit der Postversand nicht in Rabatte rauscht. Und dann müssen natürlich noch Abzweige eingebaut werden und auf die Anschlüsse geachtet werden, damit der Postverkehr später flüssig fließen kann.

Endlich kann Emo auf die erste große Probefahrt gehen. Er winkt noch einmal zum Abschied – während Marie prüft, ob die erste Testnachricht auch ordentlich eingesteckt ist. Nelleke hat von der anderen Seite der Betonfläche gewunken, dass auch dort die Strecke geschlossen ist. Emo sollte also nach einer ziemlich schlängeligen Runde wieder hier ankommen können.

RaffRaff wartet schon an der Lesestation. Wenn der Postzug hier Halt macht, kann man das Nachrichtenplättchen in die Vertiefung des blauen Kastens legen und und hört dann Pfeifen, Fiepen, Schrebbeln und ein par Wortfetzen mit Gekicher. Oder etwas ganz anderes. Der kleine Langhals ist schon ganz gespannt. Nur müsste jemand noch RaffRaff sagen, dass sie sich nicht auf die Schienen stellen darf, wenn sie nicht vom rasanten Ihmeil-Versand überrollt werden will.

Nelleke hat Marie beim Leiterbahnnetz gern geholfen, denn sonst hätte der Brennzug auch keinen Schienenweg gehabt. Den roten Punkt-Laisär auf dem großen Wagen in Mitte benutzt sie ganz vorsichtig. Sie will ja nicht die Holzschienen wegbrutzeln. Aber gerade startet sie mit lautem Fauchen den Nachbrenner im Heck, um den Zug auf Sausgeschwindigkeit zu bringen.

Inzwischen ist Lena angekommen und schnappt sich den Müllzug mit der große Wiederverwertungskugel im Heck. Der grüne Zugführer ist gerade in die große Postverteilstelle eingelaufen und fragt, ob es hier etwas zu entsorgen gibt. Aber hier ist die Post noch frisch. Sie muss erst zugestellt werden, bevor sie ungelesen in den Papierkorb kommt.

Der Postzug saust gerade über die Gitterbrücke. Die ist so kurz, dass sie beim Aluteich nichts gerissen hätte. Jetzt liegt sie zwar platt auf dem Boden, aber die Gitterbögen sorgen dafür, dass die üppige Pflanze in der Steinfuge nicht die Strecke überwuchern kann.

An den Versandfächern an der Strecke können sie die Nachrichten tauschen, denn der Zug hat nur zwei Steckplätze. Doch so wissen sie im Moment nicht mehr, wo die Test-Meil geblieben ist. Sie ist im Leiterbahn-Netz verschluckt worden. Das passiert diesen Nachrichten wohl häufiger.

Lena ist nun beim großen Papierkorb angekommen. Der heißt inzwischen Resseickling-Punkt, weil das vornehmer klingt. Lena interessiert sich sonst nicht so sehr für Müll, aber dieser grüne Punkt mit seiner samtigen Oberfläche hat sie sofort an Gras erinnert und wenn sie oben auf das kleine Männchen drückt, hört sie aus der Kugel Bienensummen und Vogelgezwitscher.

Bei dieser Lesestation ist Marie schnell durchgefahren – ohne anzuhalten. Denn hier haben sich Störenfriede eingenistet.

Drei Viren tanzen um den Briefkasten herum. Wahrscheinlich wollen sie die Nachrichten ganz schaurig falsch klingen lassen. Oder sie schmuggeln ganz schreckliche Meils rein. Vielleicht hängen sie sich an die elektrischen Briefe auch nur dran, damit sie an andere Netzpunkte gelangen können, ohne sich die Füße wund zu laufen. Laufen? Können Viren laufen?

Die kleine Giraffe muss jetzt genau aufpassen: "Schnell RaffRaff, du musst der weißen Maus Bescheid sagen. Sie muss dort aufräumen, bevor die Viren noch weitere Stationen befallen." Und schon ist der kleine Langhals losgestürmt.

Maries Frotteetier sucht den Sicherheitschef im Netz. Die kleine weiße Maus ist immer auf Patrullje, hält die Knopfaugen offen und ist sofort zur Stelle um Schädlinge unschädlich zu machen.

Das Schaf kümmert sich um eine andere Art der Netzreinigung: Jedes Mal wenn der Müllzug durch den grünen Ball fährt gibt es Reiß-, Ratsch- und Rülpsgeräusche. Dann drückt Lena schnell auf den kleinen grünen Mann auf der Kugelspitze, bis wieder Bienensummen und Vogelgezwitscher aus dem Mülleimer tönt. Es gibt ja auch Duftspray und Klosteine für das WC. Das ist jetzt Ohrhügenie.

Larissa fährt mit dem kleinen Brenner über die große Brücke. Lena könnte einfach drunter wegsausen, wartet aber lieber. Ihr grüner Ökoblitz soll ja nicht von Larissas Schuhen von den Schienen gefegt werden.

Da saust der Brennzug von Nelleke heran. Sie ist auf dem schnellsten Weg zur großen Brennstation für Silberscheiben und hat keine Zeit, dabei auch noch auf diese drömeligen Postzüge zu achten.

Es ist jedes Mal dasselbe. Immer ist Marie im Weg und Nelleke muss stoppen. "Du hättest dahinten den Abzweig nehmen müssen," mault die Mützenbärin. "Dann kommen diese Imeils doch nie an," schnappt darauf Marie. "Dann kriegt sie halt jemand anders. Das ist doch egal!" Aber Rot hat immer Vorfahrt, das ist doch klar! "So funsioniert die Post nicht," brummelt die Briefzugführerin. Und Nelleke will nicht nachgeben: "Tut sie woll!"

"Die Klügere gibt nach," also schiebt Marie den Rückwärtsgang rein. Sie wird schon einen Weg finden. "Heh, das gilt nicht: Vorfahrt hat nix mit Klug-sein zu tun," muffelt die ungeduldige Feuersbraut: "Klüger werden die Nachgeber nur, weil sie mehr Umwege kennen."

RaffRaff hat sich bei dem ganzen Geschiebe rausgehalten und guckt sich in der Zeit lieber Fugenklee an. Wenn sie kein weiches Frotteemaul hätte und im Bauch nur Watte, würde sie vielleicht ein Blatt probieren.

Larissa hat mit dem kleinen roten Blitz schon die Brennstation passiert und die große Diode blinkt noch ein paarmal auf, um die Durchfahrt zu melden.

Marie hat wirklich einen weiten Umweg genommen und fährt fast am anderen Ende des Streckennetzes lang. So ist es kein Wunder, dass manche Imeils sofort da sind und andere gefühlte Stunden brauchen, um endlich am Zielbriefkasten anzukommen.

Die kleine Maus kontrolliert den zweiten Brenner. Sie ist gern Oberpolizist im Streckennetz, denn ihr Dienstfahrzeug hat einen Elektromotor und zuckelt unentwegt seine Runden. Nachdem der kleine Virenalarm am Postfach beseitigt ist, ist alles ruhig, so dass die kleine Maus während der Fahrt ein wenig zu dösen beginnt und fast ihre Weiche verpasst hätte.

Geschafft! Emo hat seine Nachrichten endlich doch noch abliefern können. Sie werden gerade noch vom Sicherheitsmann am Empfang geprüft. Dann kann Marie wieder abschieben und gucken, wo denn diese verflixte Testmail von heute morgen geblieben ist.

Hihi! Mit einer Maske unkenntlich gemacht, startet Linus als der weltgrößte Unbekannte den großen Virenangriff auf das Netz. Diese nette Mädchengetue hält doch auf Dauer keiner aus. Es wird endlich Zeit, dass Viro und seine Spießgesellen diese lahme Nachrichtenschubserei mal aufmischen. Die geländegängigen Virenmutterschiffe setzen sich über die Gleise und die kleinen Schädlinge gickern voller Vorfreude auf die nächste Beute.

Schon haben die Viren den ersten Postzug gekapert und beginnen eifrig Spämms und Trojaner und andere linke Dinge aufzuladen.



Fotos: W.Hein


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