Dienstag, 16. Juni 2009

Die Schurkenorgel




Es ist ein großer Sommer für kleine Nager. So etwas hat die kleine weiße Maus noch nie hier gesehen. Ein schwarzer Flügel steht mitten im Garten. Und er hat genau die richtige Größe für die kleinen Mausepfoten.

Sie läuft einmal um das schwer glänzende Tasteninstrument. Es ist alles da. Die geschwungene Form, damit es eben Flügel heißen kann. Ganz viele weiße und schwarze Tasten und sogar ein Notenblatt mit Ständer. Das braucht der kleine Maus zwar nicht - wer liest schon Noten - wenn man sie in sich hat. Aber es sieht schon besser aus.

"Ich werde Klaviervirtuosin!" verkündet der naseweise Nager. Eine "Virtuosin" ist so etwas wie eine "Meister-Spielerin auf dem Klimperkasten". Eine kleine Maus kennt sich da aus. Aber erst einmal muss sie diesen Deckel anheben, damit es besser klingt.

Dieser schwarze Klavierdeckel ist ganz schön schwer. Noch schwieriger ist es, danach den dünnen Stab einzurasten, der das Ganze wie die Motorhaube beim Auto oben hält. Denn wenn man dabei nicht ganz vorsichtig ist, fällt einem der Deckel auf die Finger. Und die braucht doch noch zum Spielen. Bevor eine kleine weiße Maus zu einer gefeierten Konzertreise zu den größten Bühnen und Häuser der Welt aufbricht, sollte sie sich noch einen Assistenten und Deckelheber suchen.

Wenig später hört eine kleine Bärin feines Geklimper. Nelleke ist in den Garten gekommen, um ihre Freundin, die weiße Maus, zu suchen. Sie hat eine Überraschung für das oft so siebenmalkluge Tier. Mindestens! Vielleicht ist es sogar auch acht- oder gar neunmalklug.

Die Maus probiert inzwischen die Tasten aus. Alle machen Töne. Nur sind die noch so leise, obwohl der Deckel oben ist. Aber wenn das Nagetier vor dem Klavier steht und mit der Fußspitze den Takt mitwippt, kommt die Kleine nicht an die Pedalen unter dem Flügel ran. Oder der Takt ist hin. Dann könnte sie nur Trauermusik mit ganz langen Pausen spielen. Aber das ist doch nichts für aufgeregte Meisterklimperer.

Inzwischen hat Nelleke ihre Freundin gefunden. Das war auch nicht so schwierig, denn die Bärin hatte den kleinen Mauseflügel im Garten schon am Morgen entdeckt und musste jetzt nur den stockenden Tonleitern folgen, um eine spielende Maus zu finden. Und jetzt kommt auch die große Überraschung: Sie hat einen Mausehocker mitgebracht!

Die kleine Maus ist begeistert. Das hat noch gefehlt. Mit Hocker ist es ein echter und richtiger Arbeitsplatz für Meister-Mause-Klavier-Spielerinnen mit allem Drum und Dran. Wie klug doch ihre Freundin sein kann.

Sie stellt schnell den Hocker vor den Flügel. Er hat genau die richtige Höhe, um mit den Mäusefüßen an die Pedale zu kommen. Besonders an das Pedal für "extra-laut". Sie ist doch keine Leisetreter und das ist ganz wichtig für große Musik "Ich gebe ein Konzert. Ich habe auch das richtige Stück für kleine Klavierkünstler."

Kaum sitzt die Maus, beginnt sie mit dem Vorspiel. So ein Konzert muss schließlich gut vorbereitet werden: Noch mal Räuspern, um die Piepsstimme geschmeidig zu machen. Sie summt schnell eine Tonleiter hinterher. Dann die Pfoten knacken lassen. Und auf dem Stuhl noch einmal hin und her ruckeln, um zu prüfen, ob der Mausepo auch gut sitzt. So! Jetzt kann es los gehen.

Sie hämmert auf die schwarzen Tasten im Flügel den Flohwalzer und fiept, so laut es geht, die Melodie dazu: "Mihi, Mi, Mi, Mihi, Ta, Mi, Mi, Mihi,Ta, Mi, Ta, Mi, Mi - Miih, Ta, Mi, Mi, Mihi, Ta, Mi, Mi,Mihi, Ta, Mi, Ta, Mi, Mi - Miih, Ta, Mi, Mi, Mihi! ..."


Nelleke hält sich die Ohren zu: „Das ist ja furchtbar!“ Aber eine kleine weiße Maus hört nichts mehr. Sie ist ganz in ihr Spiel versunken. Und träumt von einer richtigen Orgel. Mit der kleine Tiere große Musik machen können. So eine laute Orgel, wie sie in den Filmen immer diese verrückten Wissenschaftler haben. Und noch ein fröhlich dramatisches Ständchen bringen, bevor sie den Weltuntergang planen. Nun, das Ende der Welt plant der kleine Nager nicht, aber ein Flohwalzer mit vollen Registern – das wäre schon was.


Zum Glück ahnt die kleine Bärin nicht, was ihr da entgeht. Sie überlegt gerade, ob der alte Seebär noch etwas Ohrenwatte vom Martins-Singen hat.


Zum Klavier habe ich ein besonderes Verhältnis. Meine Großeltern hätten damals so gern einen talentierten Enkel gehabt. Der war aber nicht musikalisch interessiert sondern höchstens nett. Also verstopfte irgendwann ein gut gemeintes Nussbaumpiano mein Kinderzimmer – Geschenke von Großeltern darf man als Kind doch nicht ablehnen. Und mein Opa kam danach jeden Freitag angereist, um als mein Klavierlehrer festzustellen, dass ich nicht genug geübt hatte. Am Donnerstag abend anzufangen reichte von Woche zu Woche halt immer weniger. Die innerfamiliäre Verstimmung wurde erst beim nachfolgenden Kaffee mit Kuchen notdürftig bis zur nächsten Woche gekittet. Den so prestigeträchtigen Flohwalzer durfte ich übrigens nie spielen, deshalb war mein Paradestück das "Lied der Meermädchen" aus "Oberon". Das hatte den Vorteil, dass immer nur eine Hand beschäftigt war. Aber irgendwann musste ich ja auch alles auswendig spielen. Denn Notenlesen kann ich immer noch nicht - die erste Klavierschule kam von meiner Tante, die zu ihrer Zeit mit zusätzlichen Bleistiftbuchstaben die schwarzen Kleckse auf den Linien lesbar gemacht hatte. Danach zog mein Großvater aus einem wilden Wertstofflager am Wegesrand eine Notensammlung von1906 hervor, die noch viel zu schade zum Wegwerfen war. Das modernste Stück, das ich je lernen durfte, war der Landserklassiker„Lilli Marleen“. So war es nur für meinen Großvater ein richtiger (Schlüssel-)Beinbruch, dass das Experiment nach einem vereisten Winter abgebrochen wurde. Später mussten dann die Kinder meiner Tante auf dem nächsten Tasteninstrument ihr Talent beweisen. Aber deshalb ist für mich ein Klavier wohl immer noch ein sehr spezielles Instrument, so dass kleine Mäuse eben von Schurkenorgeln träumen. Obwohl Silke bei dem Namen jedes Mal stutzt und es gegenüber dem niedlichen Ebay-Fund eines Holzflügels für Erzgebirgsengel etwas ungerecht findet.



Fotos: W.Hein

Samstag, 6. Juni 2009

Der Fund



Lotte ist ganz sicher kein Hasenfuß.
Aber als sie an diesem Tag durch Wiese
hoppelt, beunruhigt sie doch das aufgeregte
Geschrei, das sich rasch nähert.

Sie stellt die beiden Löffel auf und überlegt noch,
ob sie nicht lieber ein paar Schritte zurücktritt.
Da sieht sie auch schon den wilden Bären, der
die ganze Zeit etwas Rotes hoch über seinem
Kopf schwenkt.

Auch die kleine Bärin mit Hut wundert sich, wer
denn so ein Riesen-Spektakel im Garten macht.
Es ist Alex, mit dem sie noch vor ein paar Tagen
leckeren Milchstuten mit Marmelade in der Sonne
gemümmelt hat.

Der junge Bär, der mit Rosalie auf das Christkind
warten wollte, kann sein Glück gar nicht fassen.
„Ich kenne eine Abkürzung“, ruft er schon von weitem.
Die erschreckte Häsin beachtet er gar nicht und lä8t sie
einfach links stehen.

Lotte atmet tief durch und klappt die langen Ohren
wieder auf halbe Höhe. Die Aufregung hat nichts mit ihr
zu tun und der laute Bär ist vorbei, ohne sie umzureißen.
Da verschwindet sie lieber in den Büschen, bevor er
vielleicht doch noch zurückkommt.

Aber Alex hat keine Zeit zur Hasenjagd. Denn er hat
im Haus eine Mütze gefunden. Die ist feuerrot mit
pelzigem Rand und einem weißen Fusselbommel.
Und er hat gleich gewusst, was das für eine Mütze ist.

Das ist eine Weihnachtsmann-Mütze!“ Voller Stolz reckt
er seinen Fund so hoch es geht. „Und wo der Weihnachtsmann
ist, ist das Christkind nicht weit.“ Wenn er also schon die
Mütze hat, dann müssen sie gar nicht bis zum Winter warten,
um das Christkind zu finden.

Rosalie ist tief beeindruckt. Ganz vorsichtig berührt sie den
roten Stoff. Das ist also die Mütze des Weihnachtsmanns.
Der Junge ist nicht mehr zu bremsen: „Die setze ich
jetzt auf und dann kommen die Abenteuer!“ Denn er hat
gehört, dass er eigentlich bis zum Winter warten soll,
um tolle Bärengeschichten zu erleben. Aber das ist ja
noch so lange hin! Deshalb will er, dass jetzt ganz schnell
Weihnachten wird. Und die Mütze ist sicher der richtige
Festtagsbeschleuniger.

Die kleine Bärin kennt sich mit Hüten aus. Natürlich hilft
sie Alex sofort, die Mütze aufzusetzen. So hat er auch
wieder die Pfoten frei für die Suche.

Wenn der Bär jetzt die rote Mütze trägt, können sie das
Christkind so ja auch viel besser anlocken. Wenn es gerade
mal vorbei schaut und nur so flüchtig guckt, dann hält es
Alex vielleicht für den Weihnachtsmann und bleibt. Er sollte
dann nur noch gleich üben, so ganz, ganz tief "Ho! Ho! Ho"
zu brummen.

Rosalie drückt noch mal an allen Seiten nach. „So, jetzt sitzt
sie richtig fest.“ Alex brummelt etwas, von ziemlich dunkel,
aber die kleine Bärin ist sehr gründlich. Schließlich ist sie
die Hut-Expertin: „Jetzt fliegt die Mütze auch bei Wind nicht
mehr davon.

So geht das nicht. Wenn er nichts sieht, kann er auch
kein Christkind finden. Alex zieht die Mütze am Bommel
wieder hoch bis seine Knopfaugen wieder blitzen. Doch, wo
soll er jetzt suchen? Wo sind denn die ganzen Weihnachtsheinis
im Sommer? Machen die dann blau oder haben einen Ferienjob?

Selbst wenn das mit der Abkürzung jetzt nicht klappen sollte.
„Ich hab auf jeden Fall schon mal die Mütze!“ denkt sich Alex.
Sie ist nur ein wenig warm in der Sonne.


Der abenteuerhungrige Alex ist ein westfälischer Bär von Petra Valdorf.
Rosalie kommt um die Ecke aus Detmold von den Rica-Bären.
Und für Lotte mit den geblümten Innenohren hat Frau Valdorf
wahrscheinlich Großmutters Sofagarnitur geplündert oder so ähnlich.
Denn das geschlissene Hasenfell ist aus über 100 Jahre altem Samt.
Die rote Mütze hat sich Alex von Dezembär geliehen, der sie von
Silkes Mutter wegen seines Namens bekommen hatte.

Fotos: W.Hein